Kolumne: Der Sound von Berlin

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Wie Berlin aussieht, das wissen viele. Aber wie klingt diese Stadt? Für unseren Kolumnisten Gero Schließ hat Berlin einen ganz speziellen Sound – mit Geräuschen, die überraschen dürften.

Machen Sie die Augen zu. Stellen Sie sich vor, Sie gehen so durch Ihre Stadt. Mit geschlossenen Augen, aber offenen Ohren. Ich habe das in Berlin versucht und mich auf eine Reise des Hörens begeben. Ich wollte wissen: Wie klingt dieses Berlin? 

“Klack, klack, klack”, höre ich und denke intuitiv an elegante Frauen in High Heels. Aber Berlin ist nicht Paris. In der deutschen Hauptstadt ist es das Klackern der Rollkoffer. Gut 150.000 Menschen aus der ganzen Welt ziehen jedes Jahr hierher, und auch der Berliner an sich reist sehr gerne. Gleichzeitig durchzieht ein unablässiger Strom von Touristen die Stadt, deren unverzichtbares Accessoire nicht selten – der Rollkoffer ist. Klackernde Koffer, sie gehören zum Sound von Berlin dazu: Nirgendwo klirren sie so intensiv in meinen Gehörgängen wie hier. Nicht in Köln oder München, selbst nicht in New York oder Moskau.

Aus Berlin wird Babylon

Aber die Menschen ziehen natürlich nicht nur Rollkoffer, sondern kommunizieren auch und verwandeln Berlin so in eine Art Babylon: In trendigen Cafés auf dem Prenzlauer Berg, in Clubs wie “Kater Blau” oder “Tresor”, in vielen Startups, in denen Englisch manchmal Bürosprache ist. Hinzukommt: Jeder Kiez klingt anders. In Prenzlauer Berg ist mehr Englisch und Spanisch zu hören, in Neukölln viel Arabisch und Türkisch. In manchen Berliner Schulen ist letzteres sogar Unterrichtsfach.

Hat sich in Berlin auf eine Reise des Hörens begeben: Unser Kolumnist Gero Schließ

Strategische Lärmkarte

Ich habe “Berlin” und “Krach” mal gegoogelt. Als erste Überschrift sprang mich an: “Krach in der SPD”. Weit abgeschlagen danach: “Krach in der AfD-Fraktion”. Nun, da ist mir der Krach auf den Straßen Berlins fast schon sympathischer. Vor wenigen Wochen erst hat der Berliner Senat eine “Strategische Lärmkarte” veröffentlicht. Nicht der Pegel des Berliner Politgetöses wird gemessen, sondern der Straßenlärm. Dort, wo Straßen und Plätze tiefrot markiert sind, ist es besonders laut. Autos sind die größten Lärmverursacher, lerne ich, gefolgt von U- und S-Bahnen und schließlich den Flugzeugen.

Das Schlimme daran: Der Straßenlärm ist gesundheitsschädlich. Ok, Sie werden die Achseln zucken und sagen: “Straßenlärm gibt es in jeder Stadt.” Das stimmt. Doch in Berlin ist er besonders stark. Mehr als 400.000 Berliner schlafen deshalb schlecht, hat der Berliner Senat herausgefunden. Würden die Berliner auf den 1360 Kilometern des städtischen Straßenverkehrsnetzes wenigstens ruhig und gesittet fahren – so wie im badischen Freiburg oder im bayerischen Bad Tölz – würde das den Lärm zumindest ein wenig reduzieren. Aber der Berliner ist nicht nur vorlaut, er fährt auch vorlaut. Hier wird laut und frech gehupt was das Zeug hält. Das ist ätzende Lärmverschmutzung, die das Ohr zumüllt. Und der Senat tut nichts dagegen, außer schöne Lärmkarten zu malen.

Lärm ist Lärm – auch wenn er von Superstar Madonna kommt

Partylärm vom Soho House

Auch die Nachbarn des hippen Berliner Privatclubs “Soho House” können sich für das üppige Rot auf ihrer Straßenkarte nichts kaufen. Sie fühlen sich von Politik und Polizei im Stich gelassen – in ihrem Kampf gegen die nächtlichen Partys der Soho-Gäste. Laute Musik und Flaschenklirren bringen sie um den Schlaf. Da tröstet es auch nicht, dass der Krach vielleicht sogar von George Clooney oder Madonna stammen könnte, die hier immer mal wieder zu Gast sind. Alle Anzeigen und Beschwerden sind bisher im Nichts verpufft.

Gottseidank! Denn die wummernden Bässe der Clubs, die kreischende Exaltiertheit der Party-People – auch das ist der Sound von Berlin. Für mich sind das Himmelsklänge, für die Nachbarschaft Grund zur Klage. Und das Fallbeil der Justiz ist mitunter scharf. Es hat ehemalige Party-Kieze wie Prenzlauer Berg in verschlafene Gegenden verwandelt. Der Berliner Senat intervenierte jetzt mit einem Schallschutz-Fonds in Höhe von 1 Million Euro, mit dem die verbliebenen Clubs Lärmschutzmaßnahmen bezahlen sollen. Bleibt zu hoffen, dass dies die Nachbarschaft milde stimmt.

Für unseren Kolumnisten ein “traumhafter” Berlin-Klang: Die Philharmoniker

Wegen Musik vor dem Kadi? Dieses Problem kennen die Berliner Philharmoniker bisher nicht. Für mich produzieren sie jene “Fülle des Wohllauts”, die Thomas Mann in seinem Roman “Der Zauberberg” besingt. In Berlin ist dieser Zauberberg die Philharmonie mit ihrer einmaligen Akustik. Immer wieder kommt es dort zu diesen traumhaften, einzigartigen Momenten. Klänge für die Ewigkeit – das ist die schönste Frucht meiner Berliner Reise des Hörens.