Hilft kostenloser Nahverkehr im Kampf gegen Luftverschmutzung?

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Deutschland liebäugelt mit kostenlosem Nahverkehr. Aber im Kampf gegen Luftverschmutzung könnte es nützlicher sein, die Kosten für Autofahrer zu erhöhen, sagt Transportexperte Oded Cats im DW-Interview.

Die Europäische Union hat Deutschland mit Konsequenzen gedroht, sollte die Bundesregierung die starke Luftverschmutzung in einigen Städten nicht unter Kontrolle bringen. Deswegen plant die Regierung jetzt testweise in fünf deutschen Städten kostenlosen öffentlichen Nahverkehr anzubieten. Eine der wenigen Städte weltweit, die so ein Projekt langfristig etabliert haben, ist Estlands Hauptstadt Tallinn. DW sprach mit Verkehrsexperte Oded Cats, der sich intensiv mit dem Tallinner Beispiel beschäftigt hat.

DW: Warum hat Tallinn kostenlosen öffentlichen Nahverkehr eingeführt – und war das Experiment erfolgreich?

Oded Cats: Die Ziele waren, Busse und Bahnen beliebter zu machen, den Autoverkehr zu reduzieren und die Mobilität von Arbeitslosen und Menschen mit geringem Einkommen zu verbessern. Dieses letzte Ziel wurde erreicht, denke ich. Viele Menschen mit geringem Einkommen sind jetzt mehr unterwegs.

Cats: Kostenlose Bustickets locken Autofahrer nicht

Beim Wechsel zum öffentlichen Nahverkehr war der sofortige Effekt eher gering. Aber ein oder zwei Jahre, nachdem die Maßnahme vorgestellt wurde, konnte ein Anstieg von rund 14 Prozent bei Nahverkehrsnutzern festgestellt werden. Ein Großteil des Anstiegs kam jedoch von Menschen, die vorher Fußgänger waren, oder von solchen, die sowieso schon Bus fuhren und das dann häufiger oder länger taten. Nur ein kleiner Anteil kam von Autofahrern. Man kann also nicht sagen, dass es weniger Autoverkehr gibt oder dass die Staus und die damit verbundene Luftverschmutzung abgenommen haben.

Warum hat das Angebot nicht mehr Autofahrer angezogen?

Von anderen Städten, die für kurze Zeit ein kostenloses ÖPNV-Angebot getestet haben, wissen wir, dass Geld selten ein Faktor ist, wenn sich Menschen gegen den Bus und für ihr Auto entscheiden. Es hat mehr mit der Qualität des Angebots zu tun. Wenn man öffentliche Verkehrsmittel häufiger fahren lässt anstatt die Preise zu reduzieren, bekommt man viel eher neue Kunden.

In vielen europäischen Städten ist die Luftverschmutzung höher als erlaubt

Was sollte Deutschland tun, damit mehr Menschen das Auto stehen lassen?

Wir haben viele Nachweise, aus Tallinn und vielen anderen Orten, dass es am effektivsten ist, wenn man die Kosten für die Nutzung des Autos erhöht, also die, die bei jeder Fahrt anfallen: Benzinpreise, Parkgebühren und eine Innenstadtmaut. Es müssen die Kosten erhöht werden, die anfallen, wenn man sein Auto tatsächlich nutzt und nicht nur in der Garage stehen hat.

Es geht darum, dass die Fahrer für die unerwünschten Nebenwirkungen bezahlen sollen, die der Autoverkehr mit sich bringt, also Luftverschmutzung und verstopfte Straßen. Das schafft man mit diesen Maßnahmen. Nur, wenn Autofahrer mit den Kosten ihrer Entscheidung konfrontiert werden, entscheiden sie sich möglicherweise um. Und dann muss es gute Alternativen im öffentlichen Nahverkehr geben.

Was können wir von anderen Städten lernen, die es mit kostenlosem Nahverkehr versucht haben?

Wir können sehen, warum es nicht geklappt hat. Es gibt viele Städte – eine der bekanntesten ist Hasselt in Belgien – die kostenlosen Nahverkehr Jahre lang hatten und dann wieder kostenpflichtige Tickets einführen mussten, weil es finanziell nicht haltbar war. Für die Verantwortlichen dort war es eine schmerzhafte Entscheidung, aber es musste sein.

In Tallinn, Estland, ist Bus und Bahn Fahren für Anwohner gratis

Wie konnte sich Tallinn, eine Stadt mit einer halben Million Einwohnern, den kostenlosen Nahverkehr leisten?

In Estland sind lokale Steuern vom Wohnort abhängig. Es gab eine große Anzahl von Menschen, die in Tallinn leben, aber woanders gemeldet waren. Damit ging der Stadt ein erhebliches Steuereinkommen verloren. Das Angebot des kostenlosen Nahverkehrs sollte diese Menschen überzeugen, sich in Tallinn zu melden, denn es gilt nur für gemeldete Anwohner. Mit dem neu hinzugewonnen Steuereinkommen konnte die Stadt die Kosten für die Nahverkehrstickets abdecken.

Oded Cats ist Assistant Professor für Transport und Planung an der Delft University of Technology in den Niederlanden. Er arbeitet außerdem als Forscher am Royal Institute of Technology in Schweden. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Schnittbereich von Transportnetzen und dem damit verbundenen operativen Geschäft, Politik und Reiseverhalten.


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