Journalistin Doris Akrap: “Es wird ein Angstklima geschaffen”

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Zum Jahrestag der Inhaftierung des türkisch-deutschen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei erscheint sein Buch “Wir sind ja nicht zum Spaß hier”. Fragen an die Herausgeberin Doris Akrap.

Akrap: “Man möchte sie wegsperren und einschüchtern”

DW: Frau Akrap, Sie selbst glauben, mit der Inhaftierung von Deniz Yücel wolle die Türkei, dass Leute wie er “die Klappe halten”. Soll also niemand, der die türkische Regierung kritisiert, vor Verfolgung sicher sein, auch wenn er eine nicht-türkische Staatsbürgerschaft hat?

Aprap: Auf jeden Fall kann man bei den allermeisten Fällen, die wir kennen, wo Anklageschriften vorliegen, wo es auch schon Prozesse in der Türkei gegen Journalisten gegeben hat, eindeutig sehen, dass das alles an den Haaren herbeigezogen ist. Da werden, wie bei Deniz, irgendwelche Texte vorgelegt. Die werden dann vor Gericht interpretiert, ob das Terrorpropaganda ist, ob man das mit einem Putschversuch in Verbindung bringen kann. Bei Deniz gibt es noch gar keine Anklageschrift. Aber in allen diesen Fällen gibt es nur eine Erklärung: Man möchte diese Leute wegsperren, man möchte sie einschüchtern. Man möchte nicht mehr, dass sie das sagen, was sie als Journalisten, als Publizisten zu sagen haben.

Wie ist das Buch aus dem Gefängnis heraus entstanden?

Es ist über die Anwälte entstanden. Die gesamte Kommunikation über die Auswahl, Titel, Überschriften, über Änderungen an den Texten lief über die Anwälte. Das heißt, ich habe den Anwälten per Mail meine Anmerkungen geschickt. Sie haben dann, wenn sie Deniz besucht haben, ihm das vorgelegt, und dann hat er geantwortet.

Was steht drin in dem Buch? Ist das ein Pamphlet, sind es eher nachdenkliche Texte, oder beschreiben sie einfach den Haftalltag?

Es ist eine Auswahl von Texten aus den vergangenen 13 Jahren, also im wesentlichen Texte, die schon einmal erschienen sind, nämlich in der “Jungle World”, in der “Welt” und der “taz”.

Es sind auch Texte aus der Haft, die die “Welt” publiziert hat. Es gibt auch einen neuen Text, der extra für dieses Buch geschrieben wurde. Die Auswahl der Texte ist eine Mischung. Es gibt ein Türkei-Kapitel mit den Texten, die er als Korrespondent für die “Welt” in den letzten anderthalb Jahren geschrieben hat und die publiziert wurden. Und das andere ist eine Auswahl von Kolumnen, Glossen, Rezensionen, Reportagen und Interviews, die er in Deutschland publiziert hat.

Angenommen, die Türkei ließe Deniz Yücel auf Berliner Drängen hin frei, dann würde das auf einen Kuhhandel hindeuten. Wäre ihm das überhaupt recht?

Was hinter den Kulissen läuft, weiß ich nicht. Aber Deniz hat ja in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur klargemacht, dass er für keine schmutzigen Deals zur Verfügung steht.

Was wäre denn schmutzig für ihn?

Er hat das bezogen auf die Aussage des geschäftsführenden Außenministers Sigmar Gabriel, der in einem “Spiegel”-Text sagte, dass er sich durchaus vorstellen kann, dass mit der Türkei Waffen- und Rüstungsgeschäfte wiederaufgenommen werden könnten, sofern der Fall Deniz Yücel gelöst ist. Das hat man so lesen können, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt. Darauf hat Deniz Yücel reagiert und gesagt, dass er für solcherlei schmutzige Deals nicht zur Verfügung steht.

Das heißt, er hofft geradezu auf einen Prozess?

Er hofft nicht nur darauf, er verlangt ihn auch. Er verlangt, dass endlich eine Anklageschrift vorgelegt oder er freigelassen wird. Man kann ja auch jemanden aus der Untersuchungshaft freilassen, weil man einfach zu der Erkenntnis gekommen ist, dass es gar keine Anklageschrift geben kann, weil es nichts anzuklagen gibt. Aber wenn er schon so lange in Haft sitzt, dann ist der notwendige Schritt eigentlich, dass endlich mal eine Anklageschrift vorgelegt wird.

Er ist im übrigen einer der ganz wenigen Journalisten, die nach dem Putsch schon so lange in der Türkei inhaftiert sind und die noch keine Anklageschrift haben. Die allermeisten haben mittlerweile eine. Wir können darüber spekulieren, warum das nicht so ist. Haben sie nichts? Natürlich haben sie nichts, auch in anderen Fällen hat man nichts. Das ist pure Konstruktion. Offensichtlich gibt es da noch andere Interessen, und offensichtlich behandelt man ihn als Geisel und hofft darauf, dass die Bundesregierung irgendetwas gibt, gegen das sie ihn austauschen kann. Das hat sie bisher aber nicht getan, und ich glaube auch nicht, dass sie das tun wird.

Sie und Yücel hoffen, dass die Türkei ihre Kritiker nicht mundtot macht. Aber ist das nicht teilweise gelungen? Ich könnte mir vorstellen, dass mancher Kritiker, der nicht so prominent ist wie er, sich jetzt doch zurückhält.

Selbstverständlich wird damit ein Angstklima geschaffen, in dem sich Leute mehrfach überlegen, ob sie noch irgendetwas sagen, übrigens nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland. Das ist das Ziel, und das gelingt ihnen auch. Aber es gibt immer noch Leute, und darum war es Deniz auch so wichtig, dieses Buch zu machen, weiter aufrecht zu sagen: Ich stehe zu meinen Texten, ich stehe zu meiner Arbeit. Ich habe nichts anderes gemacht als Journalismus, und den werde ich auch wieder machen, sofern ich wieder frei bin.

Was ist jetzt Deniz Yücels größte Hoffnung? Ist es seine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen seine Inhaftierung?

Ja, ganz sicher. Das ist tatsächlich eine große Hoffnung, dass dort ein Urteil gefällt wird, das auf Freilassung plädiert. Ob es dann die türkischen Justizbehörden umsetzen, lässt sich natürlich nicht sagen. Es gab ein Urteil vor fast einem Monat im Falle zweier anderer inhaftierter Publizisten auf einer ähnlichen Grundlage, die dort ebenfalls Beschwerde eingereicht haben, sowohl in Straßburg als auch vor dem türkischen Verfassungsgericht. Und das türkische Verfassungsgericht hat entschieden, sie seien zu Unrecht in U-Haft und müssten sofort freigelassen werden, weil die Grundlage publizierter Texte nicht ausreicht, um jemanden mit einem Terrorverdacht zu belegen. Dieses Urteil des allerhöchsten Gerichts ist aber nicht umgesetzt worden, weil sich lokale Gerichte geweigert haben, es umzusetzen.

Das heißt: In diesem Staat herrscht gerade eine absolute Justizkrise. Deswegen steht es in den Sternen, ob ein Straßburger Urteil von diesen lokalen Behörden dann akzeptiert würde. Aber das ist eine sehr große Hoffnung.  

Doris Akrap, Journalistin von der “tageszeitung” (taz), ist seit Jahren mit Deniz Yücel befreundet und Herausgeberin von seinem Buch “Wir sind ja nicht zum Spaß hier”.