Sierens China: Gefolgschaft durch Toleranz

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In Kambodscha setzt man mittlerweile ganz massiv auf Entwicklungshilfe aus China. Das Modell des Westens, die eigenen Werte mit Zurechtweisungen durchzusetzen, hat ausgedient, meint Frank Sieren.

Kambodschas Premierminister Hun Sen (li.) begrüßt seinen chinesischen Amtskollegen Li Keqiang in Phnom Penh

China sei die “Wurzel alles Bösen in Kambodscha”, schrieb Kambodschas Premierminister Hun Sen 1988. Damals hatte Kambodscha noch immer schwer mit den Spätfolgen der Roten Khmer zu kämpfen, deren Schreckensherrschaft zwischen 1975 und 1979 rund 1,7 Millionen Kambodschaner das Leben kostete. Peking hatte das Regime von Pol Pot gestützt und die Roten Khmer noch bis in die späten 1980er-Jahre mit Millionenspenden über Wasser gehalten.

Die Zeiten, in denen Hun Sen offen Kritik an China übte, sind jedoch lange vorbei. Der Bauernsohn, der 1977 als Soldat bei den Roten Khmer desertierte, nimmt heute, ähnlich wie einst Pol Pot, die Unterstützung Pekings dankend an. Die einstige Feindschaft ist verdrängt.

Profiteur der Zusammenarbeit mit China

Vergangene Woche trafen sich die Staats- und Regierungschefs beider Länder zum Gipfeltreffen der Mekong-Lancang-Cooperation (LMC) in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh. Das Gremium der Mekong-Anrainerstaaten China, Thailand, Laos, Kambodscha, Vietnam und Myanmar wurde bereits 2015 von Peking initiiert, um die Länder am Lauf des über 4000 Kilometer langen Flusses auf die Mega-Infrastrukturprojekte von Chinas “Neuer Seidenstraße” einzustimmen. Das arme, gerade mal 16 Millionen Einwohner zählende Kambodscha, geografisch eingeklemmt zwischen Thailand und Vietnam, profitiert besonders von der Zusammenarbeit mit Peking und dessen Anschluss an die Welt. Bei seinem Besuch unterzeichnete Chinas Premierminister Li Keqiang gleich 19 bilaterale Vereinbarungen zur Förderung der kambodschanischen Infrastruktur, der Agrarwirtschaft und des Gesundheitswesens. Eines der Schlüsselprojekte ist der Bau einer 200 Kilometer langen Autobahn von Phnom Penh in die Küstenstadt Sihanoukville, wo Peking eine Sonderwirtschaftszone im Stil der südchinesischen Tech-Metropole Shenzhen plant. Auch einen neuen Flughafen für die Hauptstadt soll es geben.

Die Hilfe für Kambodscha zeigt, dass Peking auch die kleinen Entwicklungsländer Asiens, die keine strategische Hauptrolle in der Neuen Seidenstraße spielen, in seine Langzeitpläne miteinbezieht.

DW-Kolumnist Frank Sieren

Peking hat seinen Einfluss in Kambodscha in den vergangenen Jahren im Windschatten der Weltpolitik kontinuierlich ausgeweitet. Bei seinem ersten Staatsbesuch in Phnom Penh im Oktober 2016 versprach Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping Direkthilfen von 237 Millionen Dollar und 15 Millionen Dollar an Militärhilfe. Zudem erließ er Kambodscha Staatsschulden in Höhe von 90 Millionen Dollar. Inzwischen ist China der größte ausländische Investor im Land. Zwischen 2011 und 2015 investierten chinesische Firmen hier über fünf Milliarden Dollar – unter ihnen der Smartphone-Hersteller Huawei, der mithalf, das erste kambodschanische 4,5G-Netzwerk einzurichten. Und chinesische Touristen knackten im vergangenen Jahr erstmals die Eine-Millionen-Marke und bescherten der kambodschanischen Tourismusindustrie mit Besuchen an Weltkulturdenkmälern wie Angkor Wat Umsätze von rund 700 Millionen Dollar.

Verstärkter Druck aus dem Westen

Der Zeitpunkt für Pekings jüngste Investitionen ist nicht zufällig gewählt. In den vergangenen Monaten geriet Kambodschas Regierung verstärkt unter Druck aus dem Westen. Die USA und die EU hatten Sanktionen angekündigt, etwa die Sperrung von Auslandskonten sowie einen vorübergehenden Stopp von Handelserleichterungen für Textilexporte. Der Grund: Im Herbst des vergangenen Jahres hatte das Oberste Gericht Kambodschas die größte Oppositionspartei des Landes für illegal erklärt. Die “Nationale Rettungspartei” (CNRP) habe mithilfe der USA versucht die Regierung zu stürzen, so die Begründung. Die CNRP hatte bei den Wahlen 2013 und den Kommunalwahlen im Juni 2017 mehr als 40 Prozent erzielt und war damit zur Bedrohung für Hun Sen und seine Kambodschanische Volkspartei (CCP) geworden. Westliche Beobachter sprachen von einem “Todesstoß für die Demokratie”. Amnesty International erklärte, das Urteil beweise, dass die Justiz in Kambodscha mehr denn je als verlängerter Arm der Regierung fungiere.

Fakt ist: Obwohl Premier Hun Sen seit mehr als 30 Jahren an der Macht ist, setzte seine Regierung noch nie so unverschleiert auf Repressionen wie in den vergangenen Monaten. Oppositionelle wurden wegen Hochverrats festgenommen. Zeitungen und Radiosender wurden geschlossen und Nichtregierungsorganisationen des Landes verwiesen. Wenn im Juli dieses Jahres gewählt wird, stehen dem 65-Jährigen Hun Sen keine ernsthaften Gegner mehr gegenüber. Die EU-Vertretung in der Hauptstadt Phnom Penh betrachtet die Parlamentswahlen deshalb als nicht legitim. Peking erklärte dagegen, man glaube an die Fairness der Wahlen und respektiere den “Entwicklungspfad des kambodschanischen Volkes”. Sogar Wahlurnen und -kabinen möchte Peking im Juli zur Verfügung stellen.

Der Westen ist darüber natürlich verärgert. Hier hatte man große Hoffnungen in Kambodscha gesetzt. 1991 beendete ein von der UNO verhandelter Friedensvertrag die jahrelange Isolation des von seinem schwierigen Erbe gebeutelten Landes. Westliche NGO’s strömten nach Kambodscha, um das schlecht ausgebaute Sozialsystem zu stützen. Mit ausländischer Hilfe wurde bis 1993 ein demokratisches Mehrparteiensystem aufgebaut – zumindest auf dem Papier.

Kambodascha wird autoritär, aber Peking stört das nicht

Denn hinter den Kulissen ging die Regierung immer wieder scharf gegen politische Gegner vor. Weil Hun Sen jedoch auf Entwicklungshilfe aus dem Westen angewiesen war, um die Wirtschaft auszubauen und seine Macht zu legitimieren, machte er zu westlichen Werten und Demokratie lange gute Miene. Das hat sich jedoch inzwischen geändert: Mittlerweile nimmt seine Regierung lieber Entwicklungshilfe aus China an, die an weniger Bedingungen und politische Weisungen geknüpft ist. Im Gegenzug bekommt Peking Zugang zu Ressourcen und billigen Arbeitskräften. Auch gewinnt Peking mit Kambodscha einen wichtigen Fürsprecher im Asien-Pazifik-Raum. 2016 verhinderte Phnom Penh etwa eine Stellungnahme des ASEAN-Staatenbündnisses, die Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer angeprangert hätte. So funktioniert auch in Kambodscha die Realpolitik des frühen 21. Jahrhunderts: Peking ist frei Phnom Pen ein Angebot zu machen. Und Hun Sen ist frei das Angebot anzunehmen.

Pekings Strategie scheint aufzugehen: Ähnlich wie in Pakistan oder auf den Philippinen gewinnt China Vertrauen als Handelspartner, der keine Frage stellt, während man die Moralpolitik dem Westen überlässt. Peking nennt das tolerant. Der Westen zynisch. Beide Seiten bewegen sich ich dieser Frage nicht aufeinander zu. Der Einfluss des Westens wird immer geringer. Das Donald Trump imer noch kein überzeugendes Konzept für Südostasien hat, spielt China zusätzlich in die Hände.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.