Kommentar: Igitt! Schon wieder Autos!

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Die Auto-Messe in Detroit erhält in diesem Jahr bestenfalls gemischte Rezensionen. “Altmodisch, aus der Zeit gefallen!”, lautet die Kritik. Aber ist das angemessen? Nein, meint USA-Korrespondent Carsten von Nahmen.

Eine Show aus einer anderen Zeit! Nicht mehr zeitgemäß! Nur PS und Protz – wo bleiben die Innovationen? So lauten die Schlagzeilen von der North American International Auto Show (NAIAS) in Detroit in diesem Jahr. Und zugegeben, auch meine erste, instinktive Reaktion auf das, was hier zu sehen ist, war: Jawoll – hier sind halt jede Menge Autos, und nicht viel mehr. Eher was für Leute, die auch gerne mal am Samstagvormittag durch die Showrooms des lokalen Autohändlers schlendern. Wie langweilig!

Die Motor Show in Detroit ist kein Cirque de Soleil, nicht einmal eine Innovationsmesse wie die CES in Las Vegas. Detroit ist nicht die Zukunft. Aber die Gegenwart. Und in der Gegenwart wollen die Kunden in den USA halt SUVs und Pickup-Trucks. Also bekommen sie SUVs und Pickup-Trucks.

Alles da, man muss es nur finden

Carsten von Nahmen, DW-Korrespondent in den USA

Aber es ist ja nicht so, dass die Branche die Zukunft ignoriert: Jeder große Hersteller hier hat mindestens ein Elektro- und/oder Hybrid-Fahrzeug im Angebot. Mercedes will in den nächsten Jahren die komplette Flotte auch elektrisch anbieten. BMW nennt sich jetzt schon E-Mobility-Marktführer im Luxus-Segment. Und alle erwarten große Steigerungsraten bei Elektrofahrzeugen von derzeit rund ein Prozent auf bis zu 15 Prozent Marktanteil in den nächsten zehn Jahren, und bereiten sich darauf vor. Auch “Konnektivität” und “Autonomes Fahren”, die neuen Zauberworte der Technik – sind präsent. Allerdings eben eher als Nischenthemen, als interessante Konzepte für spätere Zeiten.

Viel wurde auch darüber berichtet, dass manche Hersteller, die deutschen zumal, gar nicht mit der allerersten Vorstandsgarde angereist seien, mit Ausnahme von Daimler-Chef Dieter Zetsche, der, vielleicht auch aus alter Verbundenheit mit Detroit, persönlich die neue G-Klasse der Öffentlichkeit vorstellte. Noch schlimmer: Einige Hersteller, gerade die neuen, innovativen Wettbewerber wie Tesla, lassen Detroit komplett aus, wurde aufgeregt gemeldet. Andere wie Waymo (Googlecars) sind zwar dabei, stecken aber nicht viel Aufwand und Geld in ihren Auftritt.

An den Ständen derer, die in voller Stärke auf der NAIAS präsent sind, verursacht das eher Schulterzucken: Mehr Platz und Aufmerksamkeit für uns, meint ein Pressesprecher eines großen deutschen Unternehmens. Und verweist darauf, dass die TV-Frühstückssendungen in den USA trotzdem voll sind mit Berichten aus Detroit.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Ohne Pickups geht gar nichts

    … jedenfalls nicht in Detroit. Weil Amerikaner offenbar ständig Dinge, die in keinen Kofferraum passen, über unbefestigte Wege transportieren müssen, fahren sie entweder sportliche Geländewagen (SUV) oder eben Pickups. Dies hier ist der neue Chevrolet Silverado aus dem Hause GM (General Motors). Wiegt weniger, weil aus hochfestem Stahl gebaut.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Der Nächste, bitte!

    Was GM kann, kann FCA (Fiat Chrysler Automobiles) auch. Das hier ist der neue RAM 1500, in der Top-Motorisierung bringt der Vier-Rad-Antrieb knapp 400 PS auf die Strasse… pardon: Piste. Die Produktion des Modells soll übrigens von Mexiko nach Michigan verlagert werden. Donald Trump gefällt das.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Noch ein Pickup-Klassiker

    …ist der Ford F150. Neu ist – und das ist dann mal doch eine Überraschung – der Antrieb: ein DIESEL!!! Sowas nennt man wohl antizyklisch. Übrigens: Die neue Ford Mobility Plattform für Robotaxen und andere autonome Fahrsysteme hat Ford-Chef Jim Hackett auf der CES in Las Vegas vorgestellt.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Gelände-Kiste

    Auch bei Mercedes-Benz haben sie neuerdings einen Pickup im Programm, die X-Klasse. Die wird sicher auch in Detroit stehen. Die Schwaben haben fürs Gelände aber was Neues im Gepäck, nämlich die Neuauflage der G-Klasse. Äußerlich bleibt es eine Kiste, drinnen aber wurde schwer modernisiert. Damit man auch im Wald immer connected ist. Die Top-Motorisierung: 630 PS.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Mercedes-Konkurrent

    Mit der G-Klasse schielt Mercedes-Benz natürlich auf Wettbewerber wie Jeep. Im Bild der neue Cherokee. Die Designer der Marke, die ebenfalls zu Fiat Chrysler gehört, haben dem Klassiker ein umfassendes Facelift verpasst. Und schmutzig wird er offenbar auch nicht, selbst bei der Fahrt durch Wasser und Schlamm.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Neu in der Familie

    BMW gibt seinen Autos ja immer Zahlen – von 1 bis 8. Und wenn ein X vor der Zahl steht, dann bedeutet dies: Geeignet für Gelände. Einen Zweier mit einem X gabs bislang noch nicht, jetzt aber schon. Für die, denen der Einser zu klein und der Dreier zu groß ist. Premiere in Detroit, beim Händler im Frühjahr.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    “i” wie modern

    Wir haben gelernt: X steht für Gelände. Ein kleines “i” hingegen steht für modern. Von wegen iPhone und so. Dies hier sind der i8 Roadster und sein Bruder, das Coupé (links). Modern daran sind zwei Dinge: Das Design und der Antrieb. Denn von den 374 PS werden immerhin 143 PS von einem Elektromotor beigesteuert.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Ein US-Klassiker

    Einen Volkswagen Jetta in Deutschland zu kaufen, ist gar nicht so einfach. Denn den bauen die Wolfsburger praktisch exklusiv für den US-Markt. Nach Detroit bringen sie die mittlerweile siebte Auflage. Er dürfte von der PS-Zahl an der unteren Grenze liegen, mit der man dort vorfahren darf: Schlappe 150 PS.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Auf der Überholspur

    150 PS – lächerlich! Die Corvette ZR1 von Chevrolet bringt mal locker 750 Pferdestärken auf die Strasse. In Detroit zeigt die GM-Tochter den C8, ausgestattet mit einem Mittelmotor. Der sitzt nicht vorn unter der Haube, sondern direkt hinter den Vordersitzen. Gemunkelt wird von einem Achtzylinder mit…Obacht! 860 PS.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Schönling aus Japan

    Infinity, die Luxusmarke von Nissan, fährt mit dem Q Inspiration Concept in der Autometropole am Erie-See vor. Damit wollen die Japaner ihre künftige Designsprache zeigen. Und wer aufmerksam hinschaut, der findet dort, wo sonst die Außenspiegel angebaut sind, kleine Stege für eine Kamera.


  • Die dicken Dinger von Detroit

    Was? Wann? Wo?

    Die North American International Auto Show (kurz: NAIAS) – so heißt die Messe offiziell – beginnt am Montag (15.01.2018) mit zwei Pressetagen. Ab 19. Januar ist sie dann bis zum 28. Januar für alle geöffnet. Im vergangenen Jahr kamen 800.000 Besucher ins Cobo-Center am Washington Boulevard. Mehr unter naias.com

    Autorin/Autor: Henrik Böhme


Wo also ist das Problem?

Vielleicht sind das Problem ja eher wir Journalisten: Auf der Suche nach dem immer Neuen, abgestumpft von der nun schon x-ten Auto-Show, die man “covern” muss, wendet sich die berichtende Zunft mit Naserümpfen und Grausen: Igitt, schon wieder nur Autos!

Die Auto-Industrie jedenfalls sieht Detroit offenbar ganz pragmatisch: Als Gelegenheit zur Werbung und Selbstdarstellung auf einem der nach wie vor wichtigsten Märkte der Branche weltweit.

BMW – von Präsident Trump persönlich wegen zu großer Erfolge als Feind der US-Autoindustrie ausgemacht – stellt immer wieder seine tiefe Verwurzelung in Amerika, seine Milliardeninvestitionen und jobsichernden US-Produktionsstätten heraus: “We call the United States our second home”, sagt Finanzvorstand Nicolas Peter in jedes Mikrofon. VW, unter besonderer Beobachtung seit dem Diesel-Skandal, präsentiert sich als geläutert, verlässlich und wieder auf der Erfolgsspur. Chevrolet präsentiert den neuen Silverado (Groß! Pick-Up-Truck! Benzinschleuder! Pfui!) – und zumindest das amerikanische Publikum ist begeistert. Alfa Romeo wirbt sehr italienisch und in Zeiten von #MeToo natürlich völlig inakzeptabel mit hübschen Hostessen in lasziv geschnittenen Kostümen.

Ford zeigt eine Neuauflage des Kult-Mustangs “Bullitt”, die Nissan-Luxusmarke Infiniti die Studie “Q Inspiration” mit innovativem 4-Zylinder-Verbrennungsmotor, besonders effizient, aber eben weder Hybrid noch Elektro.

Man mag das alles mögen oder nicht – aber es sind die Kernbotschaften, die die Konzerne in Amerika unters Volk bringen wollen. Und Detroit gibt Ihnen die Gelegenheit dazu. Es ist eine Auto-Show. Nicht jedermanns Sache. Aber wichtig für die Branche. Und das wird auch das nächste Jahr wieder so sein – wenn gelangweilte Journalisten wieder einmal sagen werden: Ist ja immer das gleiche, aus der Zeit gefallen. Und so weiter. Und so fort.

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