Evolution neu gedacht: Schmetterlinge kamen vor den Blumen

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Forscher haben in Deutschland das bisher älteste Schmetterlingsfossil entdeckt. Es zeigt, dass die Falter bereits vor über 200 Millionen Jahren herumflatterten – lange bevor es überhaupt Blütenpflanzen gab.

Vor 200 Millionen Jahren waren Schmetterlinge nicht so bunt – und Blumen gab es auch noch nicht.

Schmetterlinge sind alt – richtig alt. Sie lebten bereits zur Zeit der Dinosaurier. Neueste Funde zeigen, dass sich die Falter – zu denen Motten und Schmetterlinge gehören – bereits vor 200 bis 250 Millionen Jahren in der Trias entwickelt haben, also in der erdgeschichtlichen Periode, in der auch die Dinosaurier entstanden. Die Falter sind damit sehr viel älter als bisher gedacht.

Wer sich jetzt aber einen knallgelben Schmetterling vorstellt, der auf dem Rücken eines Tyrannosaurus rex landet, hat trotzdem unrecht. Denn damals waren Schmetterlinge nicht knallgelb, sie waren überhaupt nicht sonderlich bunt, sondern eher braun-grau – so wie die Motten von heute. “Die bunten Schmetterlinge, die wir so schön finden, entstanden erst sehr viel später, nach dem Aussterben der Dinosaurier”, sagt Bas van de Schootbrugge von der Universität Utrecht in den Niederlanden, gegenüber der DW.

Aber ganz egal, welche Farben die Flatterinsekten damals hatten: Dass sie so viel älter sind als bisher gedacht, stellt die Evolutionstheorie völlig auf den Kopf. Denn bisher glaubten die Wissenschaftler, dass sich Blütenpflanzen und die Insekten, die sich von ihrem Nektar ernähren, zusammen entwickelt haben. Offensichtlich war dem doch nicht so.

Eine einfache Mottenart, wie es sie auch heute noch gibt. So ähnlich sahen damals auch Schmetterlinge aus.

Schmetterlingsschuppen enthüllen die Wahrheit

Das älteste Falterfossil, das Forscher bisher gefunden hatten, ist 130 Millionen Jahre alt – zumindest wenn es um solche hochentwickelten Tiere geht, die bereits einen Rüssel haben, um Flüssigkeit aufzunehmen. Man ging demnach davon aus, dass sich die Insektenordnung der Falter um diese Zeit entwickelt hat.

Als aber Bas van de Schootbrugge und sein Team einen Bohrkern aus Norddeutschland unter die Lupe nahmen, waren sie maßlos erstaunt. Der Kern datierte auf 200 Millionen Jahre zurück, und enthielt zahlreiche versteinerte Flügelschuppen. Diese Schuppen sind charakteristisch für eine Art von Motte, die auch heute noch existiert. 

“Wir wussten zunächst nicht, was das eigentlich ist”, erzählt van de Schootbrugge. Erst die Ausdauer seines Studenten Timo van Eldijk und die Hilfe eines Spezialisten für fossile Insekten konnte schließlich das Rätsel lösen. 

Schmetterlings- und Mottenfossilien bleiben oft unerkannt, weil sie so selten sind, sagt Sonja Wedmann, Paläontologin und Forscherin bei der Grube Messel nahe Frankfurt am Main. “Schmetterlingsflügel lassen sich nur schlecht benetzen und gehen kaum unter”, erklärt sie. “Sie schwimmen daher lange auf dem Wasser und zersetzen sich dort.”

Nur wenn Partikel untergehen, können sie versteinern und für die kommenden Jahrtausende konserviert werden. In Sedimentbohrkernen, die aus dem Grund vergangener Seen entnommen werden, werden Schmetterlinge daher nur selten gefunden. “Fossile Schmetterlinge sind immer was ganz Erstaunliches”, sagt Wedmann.

Motten sind ebenfalls hübsch – wenn auch nicht so bunt wie Schmetterlinge

Co-Evolution auf dem Prüfstand

Die Wissenschaft ging bisher davon aus, dass sich Blütenpflanzen im Laufe der Evolution zuerst entwickelten – erst danach, so dachte man, kamen Schmetterlinge und Motten, die sich von deren Nektar ernähren. Das erscheint auch irgendwie logisch. Die neuesten Forschungsergebnisse aus den Niederlanden implizieren nun aber genau das Gegenteil: Wenn Falter mindestens 200 Millionen Jahre alt sind, existierten sie bereits lange vor den Blütenpflanzen.

Das könnte tatsächlich die Evolutionstheorie umkrempeln. “Wie sich Blütenpflanzen aus den nacktsamigen Pflanzen entwickelten, ist einer der großen Mysterien in der Evolution”, sagt Bas van de Schootbrugge, “und unsere Entdeckung öffnet dabei ganz neue Türen.” Statt dass Blütenpflanzen die Entwicklung der Schmetterlinge vorangetrieben haben, könnte es genau umgekehrt gewesen sein: Es gibt nur deshalb Blumen, weil es Schmetterlinge gibt.

Als es noch keine Blütenpflanzen gab, ernährten sich Schmetterlinge vermutlich von nacktsamigen Pflanzen, zu denen zum Beispiel die Koniferen und der Gingko zählen. Diese Pflanzen produzieren auch eine Art von Nektar, um sich fortzupflanzen, vertrauen bei der Verbreitung der Pollen aber auf die Hilfe von Wind anstatt von Insekten.

Vielleicht – und van de Schootbrugge betont, dass es lediglich ein “vielleicht ist” – versuchten die Pflanzen daraufhin, ihren Nektar einzuschließen, um ihn vor den hungrigen Faltern zu schützen. Im Laufe der Evolution entstand so etwas vollkommen Neues: die Blütenpflanzen.

Das würde tatsächlich eine Revolution in der Evolutionstheorie bedeuten. Es würde auch zeigen, dass – zumindest wenn es um Evolution geht – nicht alles, was logisch ist, auch wahr ist.


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