Willkommenskultur: Warten hinter Stacheldraht

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In der nordbayerischen Stadt Bamberg lässt sich besichtigen, wie der Umgang mit Flüchtlingen künftig aussehen könnte: vor allem effizient. Darauf sind die Betreiber stolz. Die Schattenseiten geben sie nicht gerne preis.

So könnte die Zukunft des deutschen Asylbewerber-Managements aussehen: Am Rande der romantischen Weltkulturerbestadt Bamberg in Nordbayern geht es durch einen unerbittlich aussehenden Checkpoint mit bulligen Wachmännern hinein in eine mit Stacheldraht gesicherte Anlage. Dies war mal eine Kaserne der US-Armee, mit Kino, Supermarkt und Club. Jetzt dienen die langgestreckten hell getünchten Häuser als Flüchtlingsunterkünfte. Die Straßen tragen Baumnamen. An einem Verkehrskreisel winkt ein schlanker Mann im Jogginganzug. “I tell you the truth!”, ruft er. Überall steht Wachpersonal. Willkommen in der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO).

Stefan Krug: Siebeneinhalb Quadratmeter pro Person

Stefan Krug braucht keinen Schlüssel, als er uns in eine Erdgeschosswohnung führt. Das ist hier überall so, nicht nur in dieser Vorzeigewohnung. “Das machen wir wegen der Sicherheit der Bewohner”, erklärt der Abteilungsleiter für Asylangelegenheiten im Bezirk Oberfranken.

Die Unterkunft hat Parkettboden, einen Balkon, Toilette, Badezimmer, einen kleinen Gemeinschaftsraum und vier Schlafzimmer. In der Küche steht ein Wasserkocher. “In den größten Wohnungen sind bis zu 16 Personen untergebracht”, sagt Krug. Das hört sich eng an. “Wir haben siebeneinhalb Quadratmeter pro Person errechnet, das entspricht den Vorgaben des Sozialministeriums für Sammelunterkünfte”, fügt er hinzu. Die Wahrheit einer Behörde sind erfüllte Vorgaben.

Krugs Behörde bemüht sich, das Zusammenleben auf engem Raum so gedeihlich wie möglich zu gestalten. “Wir achten auf eine homogene Belegung, achten auf kulturelle Nähe und lassen die Familien in ihrem Verband.” Krug ist mit dem Ergebnis ganz zufrieden.

Auf Wunsch auch vegan

Zum Essen geht es hinüber in die Mensa. Das ist eine riesige Halle mit gelben Stahlträgern, von denen eine beeindruckende Lüftungsanlage hängt. Die ist auch nötig, denn hier können 1000 Menschen zugleich essen – alles halal (islamischen Speisevorschriften entsprechend, d.Red.) und auf Wunsch auch vegan. Es gibt in der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken alles, was ein Flüchtling nach Meinung der Staatsregierung braucht: Er kann hier seinen Asylantrag stellen, er wird mit modernster Technik überprüft und sein Handy ausgeforscht.

Auf Wunsch auch vegan: Speisesaal der Aufnahmeeinrichtung Oberfranken

Das Verwaltungsgericht hat hier eine Dependance, ebenso die Zentrale Ausländerbehörde. In Block E befindet sich das Sozialamt. Für Krug ist das hier “state of the art”: “Wenn man den Weg gehen will, Flüchtlinge in großen zentralen Einrichtungen unterzubringen, dann ist unsere Einrichtung bestimmt ein gutes Vorbild.”

Dokumentenprüfung mit modernsten Mitteln

Wohin es in Deutschland geht bei der Betreuung von Flüchtlingen, ist angesichts der Hängepartie bei der Regierungsbildung in Berlin derzeit ziemlich unklar. Aber schon vor allen Sondierungs- und Koalitionsgesprächen hatten sich Kanzlerin Angela Merkel und ihre CDU sowie deren Schwesterpartei aus Bayern, die CSU, darauf verständigt, dass es künftig in etwa so aussehen soll wie in Bamberg: alle und alles an einem Ort. Das ist effizient und verspricht ein Höchstmaß von Kontrolle über die Menschen, die sich in Deutschland ein sicheres, besseres Leben erhoffen. Diejenigen, die Schutz bekommen, werden weitervermittelt. Die anderen bleiben gleich da und warten auf ihre Abschiebung.

Gut für einige – eine Sackgasse für viele

Viele von denen, die hier wohnen, haben eine andere Meinung über den Vorbildcharakter der Aufnahmeeinrichtung. Zur Mittagszeit füllen sich der Akazienweg, die Eichen- und die zentrale Ahornstraße mit Menschen. Es geht zur Mensa. Der Mann vom Kreisel ist auch wieder dabei. “Ich bin Adel aus Casablanca”, stellt er sich vor. Schlimm sei das hier, vertraut er einem an, die Wachen seien grob, das Essen schlecht. Während er das erzählt, schart sich eine Gruppe von jungen Männern im Halbkreis um ihn, ebenfalls Marokkaner. Sie nicken beifällig. “Wir haben eine Menge auf dem Kasten, gebt uns doch einfach eine Chance!”, ruft er. Er gibt die Hoffnung nicht auf, aber: “Ich habe eine Ablehnung bekommen.” Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er abgeschoben wird – Zeit, die er hier verbringen muss.

“Kaum Privatsphäre”: Andreas Ziebarth, Caritas

Möglich, dass sich die unzufriedenen Bewohner der AEO besonders gern offenbaren, oder dass abgelehnte Asylbewerber frustriert sind und das Negative überbetonen. Was ist die Wahrheit hier? Sie ist relativ – wie so oft. “Man kann Menschen durchaus zumuten, hier zwei Wochen untergebracht zu werden”, meint Markus Ziebarth. Er arbeitet als Leiter des Caritas-Büros der Asylsozialberatung in der Alles-an-einem-Ort-Flüchtlingsanlage.

Es gebe aber Leute in der AEO, die mehrere Monate hier verbringen müssten, gibt er zu bedenken. “Die können keine Tür hinter sich abschließen, haben kaum Privatsphäre, können sich ihr Leben nicht selbst gestalten”, zählt der Sozialpädagoge Ziebarth auf. In kleineren Einheiten wäre das leichter zu organisieren. “Und man muss auch daran denken, dass das für die 70.000-Einwohner-Stadt Bamberg eine große Herausforderung ist.”

Flüchtlings-Shuttle in die Weltkulturerbe-Stadt

Zum Teil hat die Bamberger Stadtverwaltung das Flüchtlingsproblem durch die Aufnahmeeinrichtung an ihrem westlichen Ende etwas entschärft. Buchenstraße, Ecke Erlenweg hält der Bus im Stundentakt. Der Bus der Stadtwerke fährt direkt in die malerische Altstadt. Einwohner und Geschäftsbesitzer entlang der Straße ins Zentrum hatten sich über die Asylbewerber beschwert. Die Kriminalstatistik weist eine gestiegene Kleinkriminalität für diese Zone aus. Viel Lust auf Kontakt mit den Schutzsuchenden ist im engeren Umkreis um das Lager nicht mehr anzutreffen. Der Bus wird schnell voll, Sicherheitsmitarbeiter der AEO scannen die Ausweise der Passagiere. Es geht los.

Hofft auf einen positiven Bescheid: David Emos aus Ghana

Neben der Haltestelle steht David und schaut dem grünen Bus nach. “Ich bleibe meistens hier und drehe im Lager meine Runden”, sagt der 37-jährige aus Ghana. Shoppen könne er sowieso nichts, weil er kein Geld habe. Er hat noch keinen Bescheid und hofft noch immer. Die meisten seiner Landsleute würden nicht anerkannt. “Ich bete dafür, dass es der deutschen Wirtschaft immer besser geht, weil ich möchte hier leben.” Eine Perspektive, die Khady aus dem Senegal sich nicht mehr ausmalt. Sie kommt zögernd näher: “Ich bin hier schon seit einem Jahr, ich bin nicht anerkannt worden.” Sie wartet eigentlich nur noch auf ihre Abschiebung, aber das ist kompliziert bei Senegalesen – das Leben in der AEO nach dem negativen Bescheid auch: Abgelehnte Asylbewerber bekommen kein Geld mehr ausbezahlt; ständig gebe es Stress mit den anderen Bewohnern und den Wachen, beschreibt Khady ihren Alltag. “Du kannst nicht weg, darfst nichts arbeiten, das ist ein vergeudetes Leben”, sagt sie.