Weihnachts-Welthit “Stille Nacht”

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Vor 225 Jahren kam “Stille Nacht”-Dichter Joseph Mohr zur Welt. Der Hilfsprediger schrieb den Text des weltberühmten Weihnachtsliedes “Stille Nacht”. 1818 erklang das Lied erstmals in der Weihnachtsmette.

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“Stille Nacht, heilige Nacht” – in 13 Sprachen

Für viele hundert Millionen Menschen in allen Erdteilen ist es das Sinnbild feierlicher Weihnachts-Stimmung – das Lied “Stille Nacht”. Laut einer repräsentativen Umfrage ist es das beliebteste Weihnachtslied der Deutschen. Hierzulande erklingt es vor dem festlich geschmückten Tannenbaum, in Afrika wird es unter Palmen gesungen. Die Briten stimmen es unter dem Mistelzweig an. Seine Melodie erklingt im ewigen Eis Alaskas ebenso wie in den tropischen Wäldern Südamerikas. Ein internationaler Klassiker, der in mehr als 300 Sprachen und Dialekten auf der ganzen Welt gesungen wird.

Ein musikalisches Team

Der Hilfsprediger Joseph Mohr, dem ab 11. Dezember 1792 das Licht der Welt erblickte, schrieb den Text “Stille Nacht” bereits 1816 in Mariapfarr, einem kleinen Dorf in der Region Lungau. Das geht aus einem von Mohr selbst verfassten Schriftstück hervor, das erst 1996 entdeckt wurde. Als er 1817 in das rund 100 Kilometer entfernte Oberndorf bei Salzburg wechselte, hatte er den Text im Gepäck. Oberndorf, ein kleines Dorf im Tal der Salzach, war erst seit kurzem Grenzort. Die Region Salzburg war gerade zu Österreich geschlagen worden, die Region Berchtesgaden zu Bayern. In dieser Gegend wohnten überwiegend arme Flößer und Schiffsleute. 

Eines der Fenster der Stille-Nacht-Kapelle von Oberndorf zeigt den Priester und Dichter Joseph Mohr

In Oberndorf lernte der sozial sehr engagierte Mohr den Dorfschullehrer und Organisten Franz Xaver Gruber (1787-1863) kennen. Wie sich bald herausstellte, bildeten die beiden ein gutes Team. Denn ausgerechnet kurz vor Weihnachten funktionierte die Kirchenorgel nicht mehr. Gruber selbst schrieb Jahre später nieder, dass deshalb das Weihnachtslied “Stille Nacht” entstanden ist: “Es war am 24. Dezember des Jahres 1818, als der damalige Hilfspriester Herr Josef Mohr bei der neu errichteten Pfarre St. Nicola in Oberndorf dem Organistendienst vertretenden Franz Gruber ein Gedicht überreichte, mit dem Ansuchen eine hierauf passende Melodie für 2 Solostimmen samt Chor und für eine Guitarre-Begleitung schreiben zu wollen.”

Seine “Uraufführung” hatte das neue Lied dann in der Christmette um Mitternacht am 24. Dezember 1818 – unter weihnachtlich ärmlichen Verhältnissen. Mohr sang die Tenorstimme, begleitete auf der Gitarre und Gruber sang den Bass. Bei dieser ersten Auffführung wurden allerdings sechs Strophen gesungen – und nicht nur die drei heute bekannten. Die Aufführung war ein voller Erfolg, so die Überlieferung.

Fast vergessenes deutschsprachiges Liedgut

Komponist mit musikalischem Einfühlungsvermögen – Franz Xaver Gruber

Wie es danach mit dem Weihnachtslied “Sille Nacht” weiterging, darüber gibt es unterschiedliche Varianten. Die eine geht so: Trotz des Zuspruchs der Gläubigen in der Weihnachtsnacht geriet das Lied in Vergessenheit. Erst gut sechs Jahre später (demnach 1825), als endlich die defekte Kirchenorgel repariert wurde, fand ein Orgelbauer das Notenblatt und nahm es mit in seine Heimat Tirol.

Nach anderen Berichten trug 1822 die damals international bekannte Tiroler Sängerfamilie Rainer das Lied dem russischen Zar Alexander I. und dem österreichischen Kaiser Franz I. vor. Sicher sei, sagt die “Stille Nacht-Gesellschaft” mit Sitz in Oberndorf: “Eine in einem Wiener Antiquariat aufgetauchte Flugschrift ist der älteste Stille-Nacht-Textdruck!” Nach neuesten Recherchen sei der Druck “vor 1832 anzusetzen”, also rund 14 Jahre nach der Erstaufführung. Davor war es vermutlich schon seit etlichen Jahren als Tiroler Volkslied bekannt.

Rasante Verbreitung

Um 1832 wurde das Lied “Stille Nacht” öffentlich in Leipzig gesungen. Von da an verbreitete es sich rasend schnell. In Berlin ließ König Friedrich Wilhelm von Preußen das Weihnachtslied alljährlich vom Domchor im Schloss singen. 1854 nahm es die königliche Hofkapelle in ihr Repertoire auf. Es wurde zum Herzstück der weihnachtlichen Familienfeiern – und eroberte sich gleichzeitig seinen Platz in den Gottesdiensten. Sein Schöpfer Joseph Mohr erlebte all dies nicht mehr. Er starb im Jahr 1848.

Mit dem Erscheinen erster fremdsprachiger Übersetzungen trat der Weihnachtsklassiker “Stille Nacht” endgültig seinen Siegeszug um die Welt an. Um 1873 trug die Melodie in den USA den Namen “Choral of Salzburg”. Bis 1891 verbreitete sich “Stille Nacht” auch in England, Schweden und Britisch-Indien. Christliche Missionare brachten das Weihnachtslied schließlich bis nach Ostafrika zu den Suahelis, nach Neuseeland und nach Südamerika.

Reduzierte Fassung

Notenhandschrift des beliebten Weinachtsliedes von Franz Xaver Gruber

Seinen weltweiten Erfolg hat das Lied vermutlich nicht nur dem eingängigen Text samt passender Melodie zu verdanken, sondern auch einer Verstümmelung. Von den ursprünglich sechs Versen treten nämlich nur drei – besonders stimmungsvolle – die Wanderschaft an. Selbst im aktuellen Evangelischen Gesangbuch sind nur drei leicht überarbeitete Strophen abgedruckt – wobei die Reihenfolge gegenüber der Originalfassung etwas verändert wurde:

Strophe 1 (bei Mohr ebenfalls 1):
“Stille Nacht, heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute hochheilige Paar. Holder Knabe im lockigen Haar,
schlaf in himmlischer Ruh, schlaf in himmlischer Ruh!”

Strophe 2 (bei Mohr 6):
“Stille Nach, heilige Nacht! Hirten erst kundgemacht
durch der Engel Halleluja tönt es laut von fern und nah:
Christ, der Retter ist da! Christ, der Retter ist da!”

Strophe 3 (bei Mohr 2):
“Stille Nacht, heilige Nacht! Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund, da schlägt uns die rettende Stund,
Christ, in deiner Geburt, Christ, in deiner Geburt!”

Die drei anderen Strophen werden ausgeblendet, und schließlich weitgehend vergessen. Hier die Strophen 3 und 5 in der Originalfassung:

“Stille Nacht! Heilige Nacht! Die der Welt Heil gebracht,
aus des Himmels goldenen Höhn, Uns der Gnaden Fülle lässt seh’n,
Jesum in Menschengestalt, Jesum in Menschengestalt.

Stille Nacht! Heilige Nacht! Lange schon uns bedacht,
als der Herr vom Grimme befreit, in der Väter urgrauer Zeit,
aller Welt Schonung verhieß, Aller Welt Schonung verhieß.”

Brisanz der verschwiegenen vierten Strophe

Die Stille-Nacht-Kapelle Oberndorf ist dem Gedächtnis des Weihnachtsliedes und seiner beiden Schöpfer gewidmet. Sie steht an Stelle der ehemaligen St.-Nikolaus-Kirche, in der Lied zum ersten Mal aufgeführt wurde

Dass die 4. Strophe von Joseph Mohrs besinnlichen Weihnachtslied eine besondere Aussage macht, wird erst beim genaueren Nachdenken klar. 

“Stille Nacht, heilige Nacht, wo sich heut alle Macht
väterlicher Liebe ergoss und als Bruder huldvoll umschloss
Jesus die Völker der Welt, Jesus die Völker der Welt.”

Da werden nicht nur süßliche Worte zum Klingen gebracht. Jesus, der Sohn Gottes, ist nach dieser Formulierung als Bruder der Menschen gewissermaßen der Begründer einer Art “Christlicher Internationale”. Eine solche Intention des Dichters stellte sich damals vermutlich in vielen Köpfen quer – dieser Gedanke wurde darum wohl auch nicht verbreitet. Vielleicht erstrahlen deshalb ab 1877 die Verse und Töne der “Internationale” umso greller. In dem Kampflied der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung heißt es:

“Es rettet uns kein höheres Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun.
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun.”

Wer weiß, vielleicht hätte der provokante Vers von Joseph Mohr dazu beitragen können, gerade dem ausgebeuteten Heer der Tagelöhner und Arbeiter die Schwellenangst vor den Kirchentüren zu nehmen. Immerhin gibt es die Theorie, dass der Sozialismus erheblich schlechtere Chancen gehabt hätte, zu einer großen politische Ideologie zu werden, wenn sich die christlichen Kirchen zeitiger und viel stärker um die gesellschaftlich und sozial Benachteiligten gekümmert hätten.

Internationales Friedenslied

In der Pfarrkirche von Oberndorf wurde Mohr (v.) und Gruber ebenfalls ein Denkmal gesetzt

Dennoch – die erste Hälfte von “Stille Nacht, heilige Nacht” ist auch im 21. Jahrhundert noch ein Hit. Die eher sentimentalen Verse befriedigen das Bedürfnis nach Geborgenheit und sorgen für heimelige Stimmung unter dem Weihnachtsbaum – was so nicht in der Absicht seiner Urheber lag. Denn die sind, ebenso wie seine ersten Hörer, bitter arme Leute gewesen. Trost spendet das Lied allerdings bis heute vor allem jenen, die die Kernaussage verinnerlicht haben: “Christ der Retter ist da.” Und genau das lag Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber vor 200 Jahren am Herzen.

Die”Stille Nacht”-Gesellschaft, die sich mit der Forschung rund um das Lied befasst und sich für die Verbreitung aller sechs Strophen einsetzt, geht noch weiter: Für sie ist das Lied mittlerweile fester Bestandteil der europäischen Festkultur. Es sei ein “Welt-Friedenslied”, das weit über die christlichen Kirchen hinaus in andere Religionen hineinwirke. 2011 wurde “Stille Nacht” in Österreich in die nationale Liste des immateriellen UNESCO-Kulturerbes aufgenommen.