Kommentar: Bauernopfer im VW-Skandal

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Das ist sie wieder, die VW-Dieselkrise. Auch wenn sich der Autobauer geläutert gibt, und nach vorne schauen will: Die juristische Aufarbeitung von Dieselgate fängt gerade erst an, meint Henrik Böhme.

Oliver Schmidt – einst Verbindungsmann von Volkswagen zu den US-Umweltbehörden, jetzt Strafgefangener

Die Entscheidung, dem deutschen Winter zu entfliehen und unter der Sonne Floridas auszuspannen in jenen Januar-Tagen des angehenden Jahres 2017 – diese Entscheidung dürfte Oliver Schmidt längst bitter bereut haben. Denn als er wieder nach Hause fliegen wollte, klickten am 7. Januar auf der Toilette des Flughafens von Miami die Handschellen. Was folgte, war eine schmerzvolle Begegnung mit der Härte der US-Justiz: Hochsicherheitsgefängnisse, in einer Zelle mit Schwerverbrechern. Vor allem aber: im Stich gelassen von seinem Arbeitgeber.

Eine entlarvende Mail

Von Oliver Schmidt heißt es, er sei ein extrem loyaler Mitarbeiter gewesen. Sogar seine Hochzeit habe er in einem VW-Autohaus gefeiert. Aber in all seiner Loyalität war er eben auch ein treuer Befehlsempfänger für das, was die Chefetage in Wolfsburg wollte: den Dieselmotor auf Gedeih und Verderb auf dem nordamerikanischen Markt zu platzieren – und damit endlich bessere Verkaufszahlen zu erreichen. Weil aber “saubere” Diesel nur mit zusätzlichem technischen Aufwand zu haben sind, und weil die Herren Winterkorn und Co, die seinerzeit in Feldherrenart von Wolfsburg aus über das automobile Reich mit dem VW-Logo herrschten, diesen Aufwand nicht betreiben wollten, kam es zu den Tricksereien, die seit zwei Jahren hinlänglich bekannt sind.

Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Und einer wie Oliver Schmidt, der an der Schnittstelle zu den US-Umweltbehörden operierte, war gezwungen, nicht die Wahrheit zu sagen. Auch wenn er inzwischen nicht mehr leugnet, von den Manipulationen der Abgas-Software gewusst zu haben: Überführt wurde er letztlich durch eine von ihm geschriebene Mail aus dem Jahr 2014, als der Druck aus den US-Umweltbehörden immer größer wurde. “Zunächst sollte entschieden werden, ob wir ehrlich sein wollen. Wenn wir nicht ehrlich sind, bleibt alles beim Alten”, so Schmidt an einen Kollegen.

Aus dem Manager-Paradies grüßt Martin Winterkorn

Im roten Knastanzug, mit Fußfesseln und in Handschellen: So wurde der Manager nun zur Urteilsverkündung in den Gerichtssaal geführt. Bilder davon gibt es nicht, nur Schilderungen von anwesenden Kollegen. Dass es keine Bilder davon gibt, ist schade: Vielleicht würde sich dann Martin Winterkorn, bis zum Bekanntwerden des Dieselskandals Chef des weltgrößten Autobauers, doch noch überlegen, sich ehrlich zu machen. Er, der nichts gewusst haben will. Und der doch jedes Spaltmaß kannte. Der tagtäglich 3100 Euro Pension bezieht. Vielleicht würde sich auch Heinz Jacob Neußer ehrlich machen, der einstige VW-Entwicklungschef, dessen Name mit fünf weiteren auf derselben FBI-Fahndungsliste steht, wie der des unvorsichtigen Oliver Schmidt. Schmidt arbeitete nach seiner Rückkehr nach Wolfsburg im März 2015 direkt mit Neußer zusammen, und er, Schmidt, soll es auch gewesen sein, der im Juli des gleichen Jahres die VW-Konzernspitze über die Software-Manipulationen informiert haben soll. Aber so, wie die Chefetage in Wolfsburg seinerzeit tickte in ihrer selbstherrlichen Art, darf man wohl nicht erwarten, dass das Schicksal des Oliver Schmidt die Herren Winterkorn, Neußer und Co auch nur ansatzweise zu einer Träne rührt oder womöglich zu einem schlechten Gewissen.

Eines wird nach dem Urteilsspruch von Richter Sean Cox vor dem Bundesgericht in Detroit klar: Die juristische Aufarbeitung des größten Verbraucherbetrugs aller Zeiten – sie geht jetzt erst richtig los. Auch wenn sich VW in Amerika mit 23 Milliarden Dollar freigekauft hat, auch wenn die Umrüst- und Rückrufaktionen auf vollen Touren laufen: Dieses düstere Kapitel wird den Konzern auf seinem Weg in die automobile Zukunft noch lange begleiten. Hier in Deutschland läuft das momentan noch auf kleiner Flamme: Wenn Autokäufer vor örtlichen Gerichten auf Rückgabe ihres Diesel-VW klagen. Die dicken Brocken, sie kommen erst noch: Wenn im kommenden Jahr die Gerichte in Stuttgart und Braunschweig loslegen mit ihren Anklagen. Dann könnte es doch noch eng werden für Martin Winterkorn und seine einstigen Kollegen. Dann könnte Oliver Schmidt seine Zeit im Gefängnis womöglich etwas leichter ertragen.    

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