Geheimdienste – raus aus der Schmuddelecke

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Der scheidende Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Christian Binninger, freut sich über erweiterte Befugnisse. Gleichzeitig will er ein besseres Image für BND und Verfassungsschutz. Keine leichte Übung.

Protest gegen zurückgehaltene Akten von V-Männern am Rande des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht München

Die Einladung klang ein wenig provozierend: “Was bleibt? Die Staatssicherheit und die Zukunft der Dienste”. Diese Frage stellte am Mittwochabend die Berliner Havemann-Gesellschaft. Sie ist nach dem DDR-Regime-Kritiker und Stasi-Opfer Robert Havemann benannt. Doch während die ostdeutsche Geheimpolizei Vergangenheit ist, freuen sich der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über steigende Etats und neue Technik. Die Details sind – natürlich – geheim.

Womit beide Dienste traditionell leben müssen, ist ihr mehr oder weniger schlechtes Image. Und daran sind sie oft selbst schuld. Der Inlandsgeheimdienst ist aktuell in den Skandal um den “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) verwickelt, der für das Ausland zuständige BND in den um die “National Security Agency” (NSA). Mit beiden befassten sich in der vergangenen Legislaturperiode Untersuchungsausschüsse des Bundestages. Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses war Clemens Binninger. Auf eine erneute Kandidatur für das Parlament verzichtete der Christdemokrat. 

Die Neuwahl des Geheimdienst-Kontrollgremiums steht noch aus

Obwohl er dem im September neu gewählten Bundestag nicht mehr angehört, bleibt er bis zur Neuwahl seiner Mitglieder Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) für die Geheimdienste. Wegen der schleppenden Regierungsbildung kann das noch dauern. Theoretisch könnten die Abgeordneten die neuen Mitglieder jederzeit wählen, scheuen aber wegen der ungeklärten Machtverhältnisse davor zurück. Also machen Binninger und andere ehemalige Parlamentarier wie der Grüne Hans-Christian Ströbele erst einmal weiter.

Der gelernte Polizist Christian Binninger ist zwar kein Abgeordneter mehr, aber immer noch Geheimdienst-Kontrolleur

Anders als Ströbele ist Binninger mit den Kontrollmöglichkeiten des PKGr im Großen und Ganzen zufrieden. Vieles habe sich zum Besseren gewandelt, wenn auch längt noch nicht alles. “Früher war reflexartig alles geheim”, es sei ein Kampf “um jedes Blatt Papier” gewesen. Das größte Problem aus seiner Sicht: zu wenig Personal. Die PKGr-Mitglieder waren völlig auf sich allein gestellt. Inzwischen hat das Gremium einen Ständigen Beauftragten, den das Kontrollgremium jederzeit in Marsch setzen kann. Seine Aufgabe: Behörden aufsuchen, Mitarbeiter befragen, Akten einsehen. Außerdem sollen mittelfristig rund 20 weitere Mitarbeiter für Entlastung sorgen.

Das staatliche Versagen beim NSU hat zum Umdenken geführt

Hundertprozentig zufrieden ist Binninger trotz der Aufwertung des Kontrollgremiums nicht. Das hat vor allem mit den Erfahrungen zu tun, die er im NSU-Untersuchungsausschuss gemacht hat. Die Dienste hätten sich häufig hinter dem Quellenschutz “versteckt”. Damit ist die Weigerung der Behörden gemeint, Akten über sogenannte Vertrauenspersonen (V-Leute) freizugeben. Quellenschutz müsse gewährt werden, meint Binninger. Aber: “Wenn eine Quelle in die Nähe eines Verbrechens kommt, kann der Quellenschutz nicht mehr absolut sein.” 

Der V-Mann mit dem Decknamen “Piatto” (Mitte) trat 2014 vermummt als Zeuge im Münchener NSU-Prozess auf

Gerade aber im NSU-Umfeld tummelten sich haufenweise mehr oder weniger kriminelle V-Männer, darunter wegen schwerer Straftaten rechtskräftig Verurteilte. Auf solche zwielichtigen Figuren will der Verfassungsschutz künftig verzichten. Ob die dem Innenministerium unterstellte Behörde aber grundsätzlich transparenter geworden ist, bezweifelt Binningers ehemaliger Parlamentskollege Wolfgang Wieland. Der Grünen-Politiker sieht zwei “heilige Kühe”: Quellenschutz von V-Leuten und Informationen, die man von Geheimdiensten anderer Länder erhält.

Transparenz-Offensive der Präsidenten

Wieland erinnerte bei der Veranstaltung in Berlin an die Operation “Konfetti”. So wurde das Schreddern von Akten mit NSU-Bezug bezeichnet. Der Vorgang ereignete sich sieben Tage nach der Selbstenttarnung der Terrorgruppe am 4. November 2011. Die teilweise rekonstruierten Akten seien dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss nur vorgelegt worden, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz so “an der Wand” gestanden habe, “dass es uns entgegenkommen musste”.

Einig sind sich die beiden Politiker, dass die Geheimdienste eine herausragend wichtige Rolle im Anti-Terror-Kampf spielen müssen. Binninger wünscht sich auch deshalb ein besseres Image der Sicherheitsbehörden in weiten Teilen der Öffentlichkeit. Man müsse sie “aus der Ecke holen, dass wir sie nur wahrnehmen, wenn etwas schiefläuft”. Dazu beigetragen hat nach seiner Überzeugung die erste öffentliche Anhörung der Geheimdienst-Präsidenten Anfang Oktober im Bundestag.

Grünen-Politiker Wieland spricht von “Eigenleben” der Dienste  

Trotz dieser neuen Offenheit bleibt Wieland skeptisch. Das Problem des “Eigenlebens” der Geheimdienste gebe es bis in die Gegenwart. Als eklatantesten Fall nannte er den NSA-Skandal. In die ungesetzliche Massenausspähung auch deutscher Bürger ist auch der BND verwickelt. Die Fachaufsicht für den Auslandsgeheimdienst hat das Kanzleramt. Deshalb hält Wieland die Affäre auch für ein Versagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel.