Nordkorea und die Grenzen der Berliner Diplomatie

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Jahrzehntelang unterhielt die DDR enge diplomatische Beziehungen zu Nordkorea. Nach der deutschen Wiedervereinigung eröffnete dann die Bundesrepublik eine Botschaft in Pjöngjang. Doch einfach war und ist es nicht.

Ein deutscher Botschaftsmitarbeiter wird aus Pjöngjang abgezogen, ein nordkoreanischer soll aus Berlin zurück nach Nordkorea beordert werden, abgebrochen werden sollen die diplomatischen Beziehungen zwischen Berlin und Pjöngjang aber nicht. Das teilte Bundesaußenminister Siegmar Gabriel in der vergangenen Woche in Washington mit, am Rande eines Treffens mit seinem US-Amtskollegen Rex Tillerson. Bereits Ende Juli hatte das Auswärtige Amt zwei Mitarbeiter aus Pjöngjang abgezogen und zwei nordkoreanische Botschaftsangehörige in Berlin aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Die aktuelle Verkleinerung der diplomatischen Vertretung Deutschlands in Nordkorea ist eine Reaktion auf den jüngsten Raketentest des international isolierten Landes. Und das bislang letzte Kapitel einer langen und oft schwierigen Mission.

In Washington erklärte Bundesaußenminister Gabriel den Abzug eines Botschaftsmitarbeiters aus Nordkorea – der Botschafter selbst soll aber bleiben

Deutschland ist eines von nicht einmal 30 Ländern, die in dem abgeschotteten ostasiatischen Land eine eigene Botschaft unterhalten – und zwar auf dem Gelände der ehemaligen DDR-Vertretung. Ein riesiges Areal, so groß, dass dort auch mehrere andere Botschaften und ständige Vertretungen als Untermieter ihren Sitz haben, beispielsweise Großbritannien und Schweden (Artikelbild). Das Ausmaß des Grundstücks resultiert aus der Bedeutung der diplomatischen Beziehungen, die Nordkorea jahrzehntelang zur DDR hatte. 

Ein Land am Boden nach drei Jahren Krieg

Die DDR zählte traditionell zu den wichtigsten Partnern Nordkoreas im Ostblock. Schon 1949 und damit kurz nach der Gründung der Demokratischen Republik Korea nahmen die beiden Länder politische Beziehungen zueinander auf. 1950 brach der Korea-Krieg aus. Als die Kämpfe drei Jahre später mit einem Waffenstillstandsabkommen endeten, lag die Koreanische Halbinsel zu großen Teilen in Schutt und Asche, ungefähr 2,5 Millionen Menschen in Nordkorea hatten ihr Leben verloren. Das Land war dringend auf Hilfe angewiesen. Und die kam unter anderem aus Ost-Berlin.

Bernd Stöver lehrt an der Universität Potsdam

“Es gab Hilfsprogramme und auch Kredite und Handelsabkommen”, erklärt Bernd Stöver, Historiker für Globalgeschichte an der Uni Potsdam. “Im Kern ging es darum, dass die DDR Nordkorea mit Industriegütern belieferte oder finanzielle Unterstützung leistete.” Meist habe es sich um Kompensationsgeschäfte gehandelt, bei denen Nordkorea nicht mit Geld, sondern in Form von anderen Gütern für die erhaltenen Waren bezahlen konnte. “Das waren in erster Linie Rohstoffe, in der Regel Metalle. In anderen Bereichen war es dagegen problematischer. Produkte wie beispielsweise Textilien wollte die die DDR nicht annehmen, weil sie aus ihrer Sicht qualitativ nicht gut genug waren.” 

Eine Stadt für Nordkorea

Ein besonders spektakuläres Beispiel für die Hilfe aus Ostdeutschland war das Großprojekt Hamhung. Die Hafenstadt Hamhung  – nach Pjöngjang die zweitgrößte des Landes – war durch amerikanische Flächenbombardements während der Kriegsjahre weitgehend zerstört. “Und dann hat die DDR Millionen investiert, um alles wieder aufzubauen. Sie hat den Nordkoreanern quasi eine sozialistische Stadt spendiert.”  Zwischen 1954 und 1962 entstanden mit Hilfe von DDR-Arbeitskräften Wohnviertel, Industriegebiete,  Krankenhäuser oder Schulen.

Unter Nordkoreas Staatsgründer Kim Il Sung – hier (links) 1953 bei der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens nach dem Korea-Krieg – begannen die diplomatischen Beziehungen zu Ost-Berlin

Auch offizielle Staatsbesuche ranghoher Vertreter beider Seiten gab es, so Stöver. “Das wahrscheinlich berühmteste Treffen fand 1956 statt – zwischen dem nordkoreanischen Außenminister und dem DDR-Botschafter. Allerdings hatten die bilateralen Beziehungen eher den Charakter einer politischen Freundschaft als einer innigen Beziehung.”

Zweckbündnis unter Bruderstaaten

Seit den 1960er Jahren seien die Handelsbeziehungen dann schleppender verlaufen, erklärt Stöver. Aus einem ganz einfachen Grund. “Letztendlich ging es vor allen Dingen um Geld. Das war das größte Problem. Die DDR ruderte mehr und mehr zurück, weil sie selbst chronisch finanziell klamm war.  Und im Grunde genommen brauchte sie auch die Waren aus Nordkorea nicht.”

Nach dem Korea-Krieg war Nordkorea eine Trümmerwüste

Auf politischer Ebene dagegen lief es einfacher zwischen Ost-Berlin und Pjöngjang. “Das war auch aus Sicht beider Regierungen vernünftig. Sie brauchten die bilateralen Beziehungen und ihre Völkerfreundschaft, allein schon für die Außenwirkung.” Ein direkter Austausch unter den Bruderstaaten fand auch gesellschaftlich statt: So wurden beispielsweise nordkoreanische Studenten in die DDR geschickt, um sich dort Wissen für den Wiederaufbau des eigenen Landes anzueignen. Von den 1960er Jahren bis zur Wende beschäftigte die DDR außerdem Arbeitskräfte aus anderen sozialistischen Staaten – zeitlich befristet und ohne Integrationsabsichten – als Gastarbeiter.

Zäsur und Neuanfang

Der Fall der Berliner Mauer im November 1989, der Zusammenbruch der DDR und die deutsche Wiedervereinigung im Oktober 1990 markierten eine Zeitenwende auch für die Beziehungen zu Nordkorea. Pjöngjang unterbreitete dem untergehenden Bruderstaat zunächst einen Vorschlag . “Nach der Absetzung von Erich Honecker hat Nordkorea ihm interessanterweise Asyl angeboten. Honecker hat sich letztendlich zwar für Chile entschieden. Aber Nordkorea wäre auch eine Option gewesen”, berichtet Stöver:

Erich Honecker zog Chile als Exil Nord-Korea vor

Die diplomatischen Beziehungen lagen nach der Wende erst einmal für mehr als ein Jahrzehnt auf Eis. Die Bundesrepublik unterhielt auf dem Gelände der ehemaligen DDR-Botschaft nur eine Interessensvertretung, Schweden fungierte offiziell als Schutzmacht. Umgekehrt wurde aus der ehemaligen nordkoreanischen Botschaft in Ost-Berlin ein ‘Büro für den Schutz der Interessen der Demokratischen Volksrepublik Korea’. Schutzmacht in diesem Fall: China. Am 1. März 2001 schließlich nahm die Bundesrepublik offiziell diplomatische Beziehungen zu Pjöngjang auf, allerdings in wesentlich bescheidenerem Umfang als damals die DDR. Die Zahl der deutschen Botschafts-Mitarbeiter in Pjöngjang ist einstellig.

Ohnmacht der Zaungäste

Und ein Einfluss Deutschlands auf die Führung in Pjöngjang sei praktisch nicht vorhanden, meint Stöver. “Grundsätzlich hat die Bundesrepublik hier eine Zuschauerrolle, sowohl beim Thema Menschenrechte als auch in der Raketen- und Atomfrage. Da sind die wesentlichen Spieler ganz andere: in erster Linie China und – mit Abstrichen – Russland.” Nach der Wende habe Deutschland gehofft, vielleicht so etwas wie ein Mittler zwischen Nord- und Südkorea sein zu können. “Damals war vielleicht die Euphorie groß, was aus dem Ende des Kalten Krieges wachsen könnte. Aber es wird immer unterschätzt, dass die nordkoreanische Führung den Untergang der DDR ja gerade als Beispiel dafür sieht, wie man es nicht machen darf.”

Umbruch zu Zeiten Kim Jong Ils: Nach dem Ende der DDR gab es zunächst keine eigene deutsche Botschaft in Pjöngjang

Trotz der begrenzten Möglichkeiten sei es aus Sicht der Bundesregierung dennoch strategisch wichtig, eine eigene Botschaft im Land zu unterhalten. “Die Chance, an Einfluss zu gewinnen, ist nur gegeben, wenn man tatsächlich eine offizielle Vertretung hat”, so Historiker Stöver.  “Aber Fakt ist, dass das bislang trotzdem nicht gelingt. Deutschland ist einfach nicht so wichtig in diesem Teil der Welt.”  Auch in der aktuellen Krise habe Berlin keinen Hebel, einen Beitrag zur Lösung zu leisten. Der Abzug eines Botschaftsmitarbeiters sei lediglich Symbolpolitik. “Außer solchen rhetorischen Schlenkern wie der von Gabriel in den USA kann Deutschland hier nichts ausrichten.”

Annäherung auf anderen Ebenen

Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor fast 17 Jahren haben nach Angaben des Auswärtigen Amtes noch keine Besuche von Regierungsdelegationen auf Ministerebene in Nordkorea stattgefunden. Umgekehrt war bislang auch nur ein nordkoreanischer Minister in Deutschland: 2011 flog der damalige Sportminister zum Eröffnungsspiel der Frauen-Fußball-WM. Reisen von Bundestagsabgeordneten oder Landespolitikern dagegen kamen in der Vergangenheit immer wieder vor.

Der dritte Kim: Nordkoreas aktueller Machthaber Kim Jong Un hat seit seiner Amtsübernahme Ende 2011 das umstrittene Atom- und Raketenprogramm des Landes immer schneller vorangetrieben

Im Herbst 2015 war Bärbel Höhn Mitglied einer solchen Delegation nach Nordkorea. Nach ihrer Rückkehr sprach die damalige stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen und Mitglied der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe mit der DW über ihre Erfahrungen im Land. “Großen Einfluss nehmen können wir dort nicht. Aber vielleicht können wir den einen oder anderen Rat erteilen oder eine Botschaft vermitteln. Das ist für mich der Rahmen, in dem man tätig werden kann.”

Der Deutsche in Pjöngjang

Bei den Gesprächen damals ging es auch um sensible Themen wie die auf Eis liegenden Sechs-Parteien-Gespräche oder die Ernährungssituation im Land. “Aus meiner Sicht waren wir sehr offen, auch in der Art, wie wir unsere Gegenüber konfrontiert haben”, so Höhn. “Das hatten wir vorher auch beim deutschen Botschafter abgesichert, weil man natürlich klären muss, wie weit man da gehen kann.”

Fast 20 Raketentests hat Nordkorea in diesem Jahr durchgeführt, so viele wie nie zuvor

Dieser Botschafter war und ist Thomas Schäfer. Der 65-jährige ist ein erfahrender Nordkorea-Kenner, der bereits zum zweiten Mal als Vertreter der Bundesrepublik vor Ort ist. Schon von 2007 bis 2010 leitete er die Botschaft, bevor er für drei Jahre auf einen Posten nach Lateinamerika wechselte. Seit 2013 ist er mittlerweile wieder in Pjöngjang. Bis auf weiteres soll die Botschaft geöffnet bleiben, so will es der deutsche Außenminister. Seit der vergangenen Woche aber hat Diplomat Schäfer dort einen Mitarbeiter weniger.