Der Warschauer Immobilienskandal

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Von den Kommunisten enteignete Immobilien wurden in Warschau ohne genaue Prüfung an findige Geschäftsleute abgegeben. Ein Skandal um Immobilienrückgaben schwächt nun die Opposition und verunsichert die jüdische Gemeinde.

Warschau – Das begehrte Pflaster

Als einziges osteuropäisches EU-Mitglied hat Polen bis heute kein Gesetz, das die Rückgabe von unter den Kommunisten verstaatlichten privaten Immobilien und Grundstücke regelt. Der letzte entsprechende Gesetzesentwurf wurde vor 16 Jahren vom linken Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski mit einem Veto abgeblockt. Das Gesetz sei unfinanzierbar, hiess es damals. Viele der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg enteigneten Grundstücke gehörten Opfern des Holocaust, deren oft entfernte Verwandte weit verstreut in der ganzen Welt lebten. Dies alles fördere den Handel mit Eigentumsrechten.

Nun hat sich gezeigt, dass die Warschauer Stadtverwaltung jahrelang besonders leichtfertig und oft ohne genaue Prüfung Grundstücke an Privatleute abgegeben hat. Dabei handelte es sich zumeist nicht um die ursprünglichen Eigentümer oder deren Nachkommen, sondern oft um findige Geschäftsleute. Diese legten bereitwillig akzeptierte Dokumente vor, die die Übernahme von Eigentumsrechten belegen sollten. Die politische Verantwortung dafür trägt die liberale Oberbürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz. Sie regiert Polens Hauptstadt seit elf Jahren, und ist gleichzeitig Vize-Vorsitzende der oppositionellen Bürgerplattform (PO).

Eigentor der Opposition

Von den Machenschaften im Warschauer Rathaus will sie nichts gewusst haben. Eine “verbrecherische Gruppe” von Stadtverwaltungsangestellten, Anwälten und Richtern sei offenbar jahrelang hinter ihrem Rücken tätig gewesen, sagt Gronkiewicz-Waltz. Gemäss eines vom Rathaus bestellten Gutachtens ist bei der Hälfte von 175 untersuchten Eigentumsrückgaben nicht alles mit richtigen Dingen zugegangen. Etwa zwei Dutzend Stadtbeamte sind inzwischen festgenommen worden.

Protest gegen “Walzer-Spekulanten” – Das Haus wurde an den Ehemann der Warschauer Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz gegeben, und später an einen Bauunternehmer verkauft

Für die polnische Regierungspartei “Recht und Gerechtigkeit” (PiS) ist der Warschauer Restitutionsskandal ein gefundenes Fressen. Die Machenschaften in Gronkiewicz-Waltzs Behörde scheinen die Behauptung der Kaczynski-Partei PiS, ihre Vorgänger von der PO seien besonders korrupt, geradezu ideal zu belegen. Deshalb hat die PiS im Sejm inzwischen eigens eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) für den Warschauer Immobilienskandal ins Leben gerufen. Dessen Vorsitzender, Vize-Justizminister Patryk Jaki, spielt sich seitdem fast in jeder Tagessschau des gleichgeschalten Staatsfernsehens TVP zum Robin Hood der einfachen Polen auf.

Bei vielen der widerrechtlich privatisierten Immobilien handelt es sich nämlich um jahrelang vernachlässigte Mietobjekte im Stadt – und damit im Staatsbesitz, in die niemand investieren wollte, weil die Eigentumsverhältnisse unklar waren. Die neuen Eigentümer, oft skrupellose Geschäftsleute, indes unternehmen alles, um die meist verarmten Mieter heraus zu ekeln und dann Luxussanierungen einzuleiten. Dies bietet dem PiS-hörigen Staatsfernsehen nun gute Bilder für rührige Sozialreportagen, bei denen die Rollen “Gut” und “Böse” klar verteilt sind, und die Schuld leicht der liberalen Bürgermeisterin und damit der Opposition in die Schuhe geschoben werden kann.

Benachteiligte ehemalige Eigentümer

Inzwischen hat auch die oppositionelle Bürgerplattform PO erkannt, dass Gronkiewicz-Waltz kaum zu verteidigen ist und sogar die ganze Partei gefährden könnte. Zumal sich Warschaus Bürgermeisterin standhaft weigert, vor Jakis PUK zu erscheinen und im Parlament Rede und Antwort zu stehen. Nicht leichter macht es ihr die Tatsache, dass ihre Familie im Jahr 2003 selbst Nutzniesser einer laut der PiS zweifelhaften Eigentumsrückgabe in Warschau war.

Hanna Gronkiewicz-Waltz (l) steht unter großem Druck in Warschau

Um das Bürgermeisteramt in Warschau wird deshalb 2018 nicht mehr Gronkiewicz-Waltz sondern der ehemalige Europa-Minister Rafal Trzaskowski (PO) kämpfen. Gegen ihn möchte gerne ausgerechnet der PUK-Vorsitzende Jaki (PiS) antreten. Unter seiner Führung hat die PiS es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst viele dieser widerrechtlich privatisierten Grundstücke – und dies nicht nur in Warschau, sondern neuerdings auch im ebenso noch oppositionell regierten Krakau – zurück an den nun rechtskonservativ regierten Staat zu geben.

Für das Problem des fehlenden Restitutionsgesetzes hat die PiS allerdings eine Lösung gefunden, die besonders die einstigen jüdischen Eigentümer benachteiligt. Ein neuer Gesetzesentwurf des Justizministeriums sieht vor, dass nur direkte Nachkommen in der ersten und zweiten Generation, die noch heute polnische Staatsbürger sind, in den Genuss einer Pauschalentschädigungszahlung kommen sollen. Sie müssen sich zudem spätestens ein Jahr nach der Veröffentlichung des Gesetzes melden. Nachkommen der Holocaust-Opfer würden dabei erneut benachteiligt, heisst es in einer Protestnote der “World Jewish Restitution Organization”.