Bundestag: Wie umgehen mit der AfD?

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Im politischen Deutschland ist derzeit vieles nicht normal. Neue Regierung? Fehlanzeige! Und: Die AfD hat im Bundestag den rechten Rand neu besetzt. Das ist eine Herausforderung, wie Kay-Alexander Scholz beobachtet.

Es gibt im deutschen Parlament im Umgang mit neuen Parteien eine gewisse Tradition: Sie werden erst einmal kategorisch von der Konkurrenz abgelehnt. Das passierte in den 1980er Jahren mit den Grünen, und dann nach der deutschen Wiedervereinigung in den 1990er Jahren auch mit der Linkspartei. Noch heute wenden sich viele auf der Regierungsbank ab, wenn die Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht ans Rednerpult tritt. Auch beim Abstimmungsverhalten zu Anträgen gibt es klare Grenzen. Ein Einheitsparlament, wie von den Populisten der AfD behauptet, war der Bundestag noch nie.

Irgendwann weichen die Fronten dann auf. Die Grünen sind inzwischen völlig, die Linken einigermaßen akzeptiert von den drei klassischen Parteien CDU/CSU, SPD und FDP. Ist das der Lauf der Dinge auch im Umgang mit der AfD? Die Frage ist vielleicht zu früh gestellt. Denn zunächst muss die AfD offenbaren, wie sehr sie an den Grenzen des Common Sense und der Verfassung kratzen will.

“Grenzen der Meinungsfreiheit”

Am dritten Sitzungstag des neu gewählten Bundestags brachte AfD-Mann Gottfried Curio in einer Debatte zu einem Antrag der SPD für ein Einwanderungsgesetz einen Grundpfeiler populistischer Verschwörungstheorien ins Spiel: die Theorie vom angeblich von Migranten gesteuerten Bevölkerungsaustausch in Deutschland. Es ginge darum, die Nationalstaaten aufzulösen mittels Massenmigration, so Curio. Das sei ein Plan der Vereinten Nationen. Das deutsche Volk solle bald entmündigt werden. Aus den anderen Fraktionen kam ein großes Raunen. Dafür bekam Curio Standing Ovations von einem Großteil seiner Fraktion.

Versammlungsleiter Wolfgang Kubicki von der FDP murmelte daraufhin etwas in das Mikrofon wie: Das sei ja so eine Sache mit der Meinungsfreiheit. Die anderen Parteien aber ließen das so stehen. Schon zuvor hätten die Abgeordneten von ihrem Recht auf eine Zwischenfrage Gebrauch machen können.

Der AfD-Chor

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Auch in einem anderen Punkt ließen die Abgeordneten – zumindest der großen Fraktionen von CDU/CSU und SPD – der AfD mehr Raum als vielleicht nötig gewesen wäre. Nämlich schlicht durch die Zahl der Anwesenden. Während die AfD-Reihen mit ihren mehr als 90 Abgeordneten fast alle besetzt waren, waren bei SPD und CDU/CSU die hinteren Reihen im Plenum mal wieder unbesetzt. Das ist in normalen Zeiten nicht ungewöhnlich. Denn der Bundestag ist eine Mischung aus Rede- und Arbeitsparlament. Anders als in Großbritannien zum Beispiel werden im Bundestag Debatten auch in den Ausschüssen geführt.

Doch derzeit gibt es nur einen Ausschuss, der arbeitet. Trotzdem fehlten viele. Im Ergebnis klang es an vielen Stellen wie im britischen Unterhaus: Die AfD-Abgeordneten raunten, lachten oder johlten im Chor und hatten so stellenweise eine akustische Mehrheit.

Ähnliche Argumente 

In der angesetzten Debatte über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Mali offenbarten sich zudem ähnliche Argumentationsmuster bei Linken und AfD. Redner beider Fraktionen kritisierten die Schützenhilfe für Frankreich in der Region und warnten von einer “Afghanisierung”, also einem Auseinanderfallen des Landes.

Das war den Linken gar nicht Recht. Christine Buchholz bezeichnete die AfD als militaristisch und rassistisch. Den Vorwurf des Rassismus wies der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, entschieden zurück. Buchholz erwiderte, sie werde das bei jeder Gelegenheit wiederholen. Woraufhin Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble das Wort ergriff und ankündigte, sich im Ältestenrat darüber verständigen zu wollen. Sein Rat sei, dass ein Argument in der Sache durch eine Mäßigung im Ton an Stärke gewinne. Worauf die AfD heftig klatschte.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble achtet auf den guten Ton im Parlament

Später versuchte Stefan Liebich von der Linkspartei es dann noch mal anders: Es werde wohl immer etwas geben, was der Argumentation der AfD ähneln könnte. Aber es gebe einen großen Unterschied: Die Linkspartei trete dafür ein, dass jeder Mensch, der flieht, in Deutschland willkommen sei.

Geschlossen gegen AfD-Antrag zu Syrien

Die AfD tritt eher für Ab- statt Zuwanderung ein. So brachte sie einen Antrag ein, wonach die Bundesregierung mit Syrien ein neues Rücknahme-Abkommen für Flüchtlinge verhandeln solle. So solle eine freiwillige Rückkehr in sichere Gebiete in Syrien organisiert werden. Schließlich sei der IS in Syrien besiegt und der Wiederaufbau nehme Fahrt auf, sagte Baumann.

AfD-Politiker Bernd Baumann: Syrer sollen zurückkehren

Der Vorschlag stieß bei allen Parteien auf breite Ablehnung. Mit einem “Massenmörder Assad” dürfe nicht verhandelt werden. Noch immer würden Menschen in Syrien vertrieben und litten unter unmenschlichen Lebensbedingungen. Der Frieden müsse dauerhaft und nachhaltig sein, erst dann könne über einen Stopp des Flüchtlingsschutzes gesprochen werden, lautete der Tenor. Die AfD solle sich schämen, sie wolle schlicht Menschen loswerden, egal, ob sie das überlebten oder nicht, sagte der SPD-Abgeordnete Josip Juratovic.

Bundesinnenminister plädiert für Pragmatismus

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere: Familienzusammenführung muss nicht in Deutschland erfolgen

Bundesinnenminister Thomas de Maizière guckte sich das Geschehen in weiten Teilen von der Regierungsbank an. Parallel zitierten die Nachrichtenagenturen aus einem Interview mit de Maizière. Darin kündigte der CDU-Politiker an, keine Mehrheit zusammen mit der AfD zu suchen. Gemeinsame Anträge, Gesetze oder Initiativen könne es mit der AfD nicht geben. Was auch für die Linkspartei gelte. Allerdings könne man nicht ausschließen, dass die AfD für CDU-Anträge stimme. “Wenn wir etwas für richtig halten, kann man nicht allein deswegen den guten Vorschlag unterlassen, weil vielleicht die AfD zustimmt. Abhängig werden von der AfD sollten wir nicht.”

Zudem sprach de Maizière sich dafür aus, die Familienzusammenführung vor allem für syrische Flüchtlinge weiterhin auszusetzen. Der bisherige Stopp läuft im kommenden März aus. Eine Familienzusammenführung müsse nicht unbedingt in Deutschland stattfinden. Die Kommunen dürften nicht zusätzlich belastet werden. Genau diese Argumentation hatte auch die AfD verwendet, um ihren Antrag auf ein Rücknahmeabkommen zu begründen.