Starkoch Yotam Ottolenghi: “Eine gute Story ist unbezahlbar”

0
271

Yotam Ottolenghi und Helen Goh haben die Rezepte der beliebtesten Desserts ihrer Restaurants im Kochbuch “Sweet” preisgegeben. Die DW traf die beiden, um herauszufinden, was den Namen Ottolenghi so erfolgreich macht.

Der britisch-israelische KochYotam Ottolenghi ist der Mitbesitzer mehrerer Kultrestaurants in London, sowie Autor mehrerer populärer Bücher, darunter “Plenty” (2010) und “Jerusalem” (2012), die er gemeinsam mit Sami Tamimi vefasste.  

Helen Goh arbeitete in führender Position in einer Konditorei Konditorin in Melbourne, bevor sie sich mit Ottolenghi in London zusammentat, wo sie seit nunmehr 10 Jahren leitende Produktentwicklerin ist.

Gemeinsam schrieben sie “Sweet”, das im September verlffentlicht wurde. Die DW traf sie in Berlin, wo sie ihr neues Kochbuch vorstellten.

DW: Im Vorwort zu Ihrem neuen Rezeptband “Sweet” wird aus dem Namen Ottolenghi ein Verb geschaffen. Dort steht geschrieben, dass Helen ein spezielles Dessert “ottolenghisieren” würde. Was beinhaltet denn die “Ottolenghisierung” eines Rezepts, egal, ob es nun herzhaft oder süß ist?

Helen Goh: Es bedeutet, dass einen da eine Überraschung erwartet. Niemand will ja wirklich etwas essen, was sich tatsächlich als eine Herausforderung entpuppen könnte. Wir essen etwas, weil es uns schmeckt und es uns ein angenehmes Gefühl vermittelt. Aber trotzdem ist es ganz nett, wenn da eine kleine Überraschung auf uns lauert, die uns erfreut und tröstet.

Yotam Ottolenghi: Oh ja, Überraschungen sind absolut wichtig. Schließlich wollen wir die Leute ja auch beeindrucken! Das geschieht auch durch die Präsentation, kontrastierende Farben, und einen Hauch von Großzügigkeit und Überfluss, sodass man das Gefühl bekommt, das sei etwas, was man anderen anbieten und mit ihnen teilen will.

Goh: Und wenn man etwas anbietet, was Überraschungen beinhaltet, dann ist das aufregend, und man wird sich dieser Sache eher bewusst. Zum Beispiel gibt es in unserem Buch einen Brownie. Man kann zwar alle möglichen Brownies bekommen, aber hier wird eben etwas Ungewöhnliches hineingetan [Tahini und Halva — Anmerkung der Redaktion], was die Leute dazu bringt, den Brownie in einem neuen Licht zu sehen. Auf diese Weise wird man sich mehr darüber bewusst, was man eigentlich isst.

Kokos Schokoladenkuchen — ohne Mehl

Da wir von Bewusstsein sprechen: Yotam, Sie haben in “Sweet” auch darauf hingewiesen, dass der Konsum von Zucker eine unserer größten Gesundheitsgefahren darstellt. Trotzdem wagen Sie es, ein Dessertrezeptbuch herauszubringen. Außerdem essen Sie Fleisch, obwohl Sie in der britischen Tageszeitung “Guardian” die Kolumne “New Vegetarian” inne haben, obendrein haben Sie erfolgreiche vegetarische Kochbücher geschrieben. Dieses Verhalten hat so einige Leute zunächst einmal schockiert. Wie wichtig ist es Ihnen, eine nicht-dogmatische Einstellung zum Essen zu fördern?

Ottolenghi: Was Sie da anmerken, sagt schon einiges darüber aus. Helen und mir geht es nie darum, andere Menschen zu bekehren, oder eine Aussage zu machen. Es geht uns vielmehr darum, das wiederzugeben, was uns sehr wichtig ist, was wir gerne essen. Als ich vor vielen Jahren begann, eine vegetarische Kolumne für den Guardian zu schreiben, tat ich das, weil ich das Gefühl hatte, dass Gemüse viel zu bieten hat, Gemüseliebhabern, Vegetariern oder Fleischessern, also uns allen. In meiner Heimat drehte sich das Essen um Gemüse.

Ich denke, das Gleiche gilt für dieses Buch. Helen und ich arbeiten seit über zehn Jahren an köstlichen Kuchen für unsere Kunden, und diese Rezepte wollten wir mit unseren Lesern teilen. Wir lieben Kuchen ganz einfach! Zucker stellt oft ein Problem dar, wenn es versteckter Zucker ist. Bei diesen Rezepten hier weiß man wenigstens genau, wieviel Gramm Zucker in ihnen enthalten sind.

Ottolenghi ist in Jerusalem geboren und aufgewachsen

Ihre Mutter ist Deutsche und Sie haben einige Zeit in Berlin verbracht. Was ist Ihr Eindruck von der deutschen Küche?

Ottolenghi: Als ich aufwuchs, habe ich eine ganze Menge deutsche Gerichte gegessen. Meine Großeltern mütterlicherseits lebten in Berlin, bis sie vor dem Krieg mit meiner Mutter und ihrem Bruder nach Palästina auswanderten. Meine Großmutter kochte viel mit Kartoffeln, Kohl und Schweinefleisch. Ich muss schon sagen, dass mir diese Gerichte sehr gut geschmeckt haben. Sie bereitete auch Ochsenzunge zu – das mag ich sehr. Ich bin mir nicht sicher, ob das in Deutschland immer noch so beliebt ist…

Ein Starkoch zu sein setzt voraus, dass man viele Aufgaben gleichzeitig erledigen, ein starkes öffentliches Image aufbauen, und an vielen verschiedenen Plattformen präsent sein kann. Aber die Menschen haben möglicherweise vergessen, dass Ihre harte Arbeit schon lange vor den Zeiten des Instagram und Ihrer Zeitungskolumnen begann. Welche Tipps würden Sie jemandem geben, der Sie fragt, wie man ein berühmter Koch wird? 

Ottolenghi: Der ganze Förderungskram wird zunehmend immer wichtiger – leider. Aber was für mich immer noch am meisten zählt, sind Integrität und richtig leckeres und gutes Essen. Trotzdem muss in der heutigen Zeit ein jeder seine besondere Nische finden, etwas, was die eigenen Kuchen oder Steaks, oder was auch immer, von anderen Produkten abhebt. Dafür gibt es keine bestimmte Formel. Das muss vom Herzen kommen. Das ist eine persönliche Reise. Ob man das Zeug dafür hat, oder nicht, das beurteilt dann die Öffentlichkeit.

Oft werde ich gefragt, wie ich ein Autor über Essen geworden bin, und darauf sage ich folgendes: ‘Essen Sie das selbst!’ Das ist die Erfahrung, die man eben machen muss. Da muss man halt durch. Eine Abkürzung gibt es nicht. Natürlich kann man viele Fans auf Instagram bekommen. Aber wenn man erreichen will, dass die Menschen die Rezepte von einem auch tatsächlich nachkochen, dann muss man schon eine ganze Menge brutzeln und backen.

Bevor Sie begannen, in Restaurants zu arbeiten und schließlich Ihr eigenes Restaurant eröffneten, haben Sie einen Master in Philosophie und Literatur abgeschlossen. Sie waren auch bei einer Zeitung als Redakteur für ein bestimmtes Ressort tätig. Hat ihnen dieser Hintergrund bei Ihrer Arbeit geholfen?

Ottolenghi: Was mir jetzt hilft, ist die Einsicht, dass eine gut erzählte Geschichte eine wertvolle Ergänzung zu einem Rezept darstellt. Es gibt jede Menge toller Rezepte überall auf der Welt. Was den entscheidenden Unterschied ausmacht, das sind die Geschichten. Die Kunden wollen das Gefühl haben, dass sie weit mehr als nur ein gutes Abendessen bekommen. Sie wollen das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie die Erfahrungen von jemand anders teilen. Deshalb ist eine gute Story einfach unbezahlbar.

Was die Geschichten anbelangt: Ihr Werk “Jerusalem” hat sich besonders in Deutschland großer Beliebtheit erfreut, wahrscheinlich aufgrund der Hoffnung, die diese Geschichte ausstrahlt – nämlich die Hoffnung, dass Israelis und Palästinenser durch Essen miteinander verbunden sind. Glauben Sie, dass gutes Essen einen Beitrag zu einer besseren und friedlicheren Welt leisten könnte?

Ottolenghi: Könnte ja! Aber ich weiß nicht, ob das wirklich der Fall ist. Zumindest schlummert da ein großes Potential. Schließlich muss ja jeder Mensch etwas essen. Das ist also das eine Ding, das wir alle gemeinsam haben. Aber leider schauen die meisten Menschen eher auf das, was sie trennt, anstatt auf das, was sie miteinander verbindet.

Wenn der gute Wille vorhanden ist, dann ist gutes Essen bestimmt hilfreich. Essen bricht alle Barrieren, selbst zwischen Menschen, die keine gemeinsame Sprache sprechen. Aber Essen kann keinerlei Probleme lösen, solange den Menschen der gute Wille fehlt, sich gemeinsam hinzusetzen, miteinander zu reden und zusammen zu essen.