Migration Dilemma: DW-Debatte in Guinea

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Viele junge Guineer zieht es nach Europa und Deutschland. In Guineas Hauptstadt Conakry diskutierten sie im Rahmen des DW-Projekts „Migration Dilemma“ über die Gründe und Alternativen zur Flucht übers Mittelmeer.

Moderator Bob Barry (Mitte) mit Panelisten

Seinen Namen möchte der junge Mann nicht sagen. Aber er hat eine Geschichte zu erzählen: seine Geschichte, seinen gescheiterten Traum von Europa. Er soll hier Jean-Luc heißen. Es hat ihn Mut gekostet, in den Hörsaal der Kofi Annan-Universität in Conakry, der Hauptstadt von Guinea, zu kommen. Rund 400 Menschen sitzen dort, um die Debatte „Migration Dilemma” zu verfolgen. Die Deutsche Welle hat sie organisiert. Die meisten Zuhörer sind jung. Vertreter von Regierung, Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sitzen auf dem Panel. Sie diskutieren über die Gründe für die lebensgefährliche irreguläre Migration von Afrika nach Europa – und über mögliche Alternativen. 

Seit Anfang 2017 sind laut IOM knapp 3000 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer gestorben. Da längst nicht alle Schiffbrüchige gefunden werden, liegt die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher. Zielländer der Bootsflüchtlinge sind Italien und Griechenland. Etwa 9400 Flüchtlinge aus Guinea sind seit Jahresbeginn in Italien angekommen. Nach Nigeria mit rund 17500 Migranten liegt das westafrikanische Land damit auf Platz zwei der Statistik.

Angst vor der Fahrt über das Meer

Laut Fatou Ndiaye, Büroleiterin der IOM in Guinea und Panelistin bei der Debatte der DW, machen sich jeden Monat rund 700 Guineer auf den Weg nach Europa. Wie Jean-Luc, der von Guinea über Mali und Algerien nach Libyen gelangte. Dort war erst mal Schluss: „Ich habe viel Geld ausgegeben, aber es hat nicht gereicht für die Weiterreise. Die Schlepper verlangen mehrere tausend Euro. Immer wieder hat meine Familie mir neues Geld geschickt.”

Jean-Luc (rechts) will über die Gefahren der illegalen Migration aufklären

Nach Wochen sollte es endlich so weit sein. Der Schleuser rief an, Jean-Luc solle so schnell wie möglich zur Ablegestelle kommen, er werde nach Europa übersetzen. „Ich ging sofort los”, berichtet Jean-Luc. „Aber als ich dann das Meer sah, hatte ich Angst. Ich wollte da nicht hinaus.” Er machte auf dem Absatz kehrt und suchte Hilfe im Zentrum der Internationalen Organisation für Migration (IOM).  

Fatou Ndiaye von der IOM ist voller Bewunderung für diesen Schritt: „Viele Migranten denken, es ist ein Scheitern, wenn sie zurückkehren in ihr Land. Aber ich sage: Nein, nach Hause zurückzukehren, ist kein Scheitern. Es ist eine mutige Entscheidung!” Bis dato hat die IOM 2017 rund 2600 Guineer aus Libyen zurückgebracht. Auch in diesen Tagen laufen Rückhol-Aktionen.

Bettelarm trotz vieler Rohstoffe

Marcel Milimono, Vertreter des Jugend- und Arbeitsministeriums auf dem Podium, weist Vorwürfe zurück, die Regierung kümmere sich nicht genug um die Jugend: „Es gibt in Guinea nicht genügend private Unternehmen. Der Staat allein kann nicht alle jungen Arbeitslosen beschäftigen.” Dansa Kourouma, Vertreter der Zivilgesellschaft, sieht das ähnlich. Zugleich unterstreicht er aber, dass die Regierung eine kohärente Politik für die Ausbeutung der Bodenschätze des Landes haben müsse. Guinea ist zwar bitterarm, hat aber zugleich die größen Bauxitvorkommen der Welt. Zudem gibt es große Menge Eisenerz und Nickel. Doch am Export dieser Rohstoffe verdienen wie so oft in Afrika vor allem ausländischen Firmen. „Das müssen wir ändern. Es muss möglich sein, dass ein so reiches Land wie Guinea den jungen Leuten Arbeit gibt.”

Guinea hat die größen Bauxit-Vorkommen weltweit

Die Diskussion ist angeregt, obwohl auch deutlich wird, dass die Positionen der unterschiedlichen Vertreter nicht sehr weit auseinander liegen. „Wir sind alle verantwortlich dafür, dass die jungen Leute weg wollen: die Länder, aus denen sie kommen, die Familien, die die jungen Leute oft drängen, nach Europa zu gehen und von dort Geld zu schicken, aber auch die europäischen Länder”, so Fatou Ndiaye. Vom Regierungsvertreter bekommt er dafür heftigen Beifall.

Neben wirtschaftlichen Gründen für die Flucht sei es auch der Mangel an regulärer Schulbildung, der die Menschen in die Perspektivlosigkeit treibe, so Dansa Kourouma, Vertreter der Zivilgesellschaft: „Wir brauchen mehr Bildung. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass es bessere Bildung gibt, machen wir uns mitschuldig am Tod der jungen Menschen.” Kinder in Guinea gehen nach UN-Angaben im Schnitt nur zweieinhalb Jahre zur Schule.

Am Ende der Debatte appelliert die IOM-Expertin eindringlich an die jungen Leute im Publikum: „Ihr müsst euer Schicksal, eure Zukunft selbst in die Hand nehmen! Einfach nur abzuhauen, hat keinen Sinn.” Es klingt fast wie ein Coaching, als sie hinzufügt: „Ich bin aufgestiegen, weil ich an mich selbst glaube. Glaubt an euch, vertraut auf euch selbst, dann werdet ihr Erfolg haben. Meine Tür steht euch offen, wenn ihr Hilfe braucht.”

Guineer stellen die zweitgröße Gruppe afrikanischer Flüchtlinge in Italien

Ehemalige Migrationen wollen vor der gefährlichen Flucht warnen

Jean-Luc hat sich, seit er vor vier Monaten nach Guinea zurückgekommen ist, mit anderen Rückkehrern vernetzt. Sie möchten einen Verein gründen, der junge Leute über die Gefahren der lebensgefährlichen Flucht aufklärt. „Das Geld für die Schlepper und die Energie, die wir für die Reise brauchen, sollten wir besser in unser Land investieren.” Davon ist er inzwischen überzeugt.

Im Rahmen des DW-Projektes „Migration Dilemma” haben in diesem Jahr bereits fünf Debatten stattgefunden: in Gambia, der Elfenbeinküste, dem Senegal, Mali und dem Niger. In den nächsten Wochen lädt die DW in Ghanas Hauptstadt Accra zu einem Migrations-Dialog ein. Ziel des Projektes ist, die Debatte über Fluchtursachen, Migration und Bleibeperspektiven nicht von Europa aus zu führen, sondern mit den Betroffenen vor Ort. So sollen die Gesellschaften zum Dialog miteinander anzuregen. Über die Debatten hinaus veröffentlicht die DW  TV-, Radio- und Webreportagen, Informationsvideos und Videobotschaften afrikanischer Auswanderer in den Sprachen Englisch, Französisch und Hausa.