#MeToo: Vergewaltigt vom Teamkollegen

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Die Social Media-Kampagne #MeToo erreicht den Sport: Turn-Olympiasiegerin Tatiana Gutsu wagt den Schritt an die Öffentlichkeit und berichtet von einer Vergewaltigung durch einen Olympia-Helden. Es ist kein Einzelfall.

Mit 16 Jahren auf dem Olymp: Gutsu gewann 1992 Olympia-Doppelgold. Heute berichtet sie von einem dunklen Kapitel.

Die Worte sind drastisch: “Du, der mich in Stuttgart beim DTB 1991 in Deutschland vergewaltigt hat. Vitaly Scherbo. Du Monster, das mich über so viele Jahre verängstigt in meinem eigenen Gefängnis gehalten hat.” Geschrieben hat sie Tatiana Gutsu, inzwischen 41 Jahre alt und Betreiberin einer Kunstturn-Akademie im US-amerikanischen Detroit. Bekannt ist sie aus ihrem früheren Leben, als zweifache Olympiasiegerin im Kunstturnen. Aus dieser Zeit erzählt Gutsu nun erstmals von einem dunklen Kapitel, das sie bisher verschwieg: eine Vergewaltigung durch einen ehemaligen Teamkollegen.

1991 war Tatiana Gutsu gerade einmal 15 Jahre alt. Sie stand vor dem Höhepunkt ihrer Turner-Laufbahn. Bei den Olympischen Spielen 1992 startete sie als Ukrainerin für das “Vereinte Team”, wenn man so will die sportliche Konkursmasse des nicht mehr existenten Sowjet-Teams. Gutsu gewann Gold im Mehrkampf, sowohl im Einzel wie im Team. Ihr mutmaßlicher Peiniger, Vitaly Scherbo, war der Turn-Star der Spiele von Barcelona, gewann sensationelle sechs Goldmedaillen. Da waren die Ereignisse von Stuttgart, die Gutsu in einem Facebook-Post nun, fast 27 Jahre später beschreibt, ein Jahr her.

“Du kannst mich nicht mehr brechen”

Beim DTB-Pokal in der süddeutschen Stadt soll der Weißrusse Scherbo, damals 19 Jahre alt und somit vier Jahre älter als Gutsu, seine Teamkollegin vergewaltigt haben, schreibt die Turnerin. “Ich weiß, dass du versuchen wirst, dich zu verteidigen. Aber meine Details sind stärker als deine Worte. Ich bin jetzt stärker als je zuvor. Du kannst mich nicht mehr brechen.”

Der Turn-Star von Barcelona 1992: Vitaly Scherbo gewann sechs Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen.

Es ist wohl eine späte Abrechnung mit der Vergangenheit, die erst jetzt ans Tageslicht kommt, weil es ihr viele andere Frauen vormachen, ihr den Mut gaben: Angesichts eines Sex-Skandals in Hollywood trat die Schauspielerin Alyssa Milano unter dem Hashtag #MeToo eine digitale Lawine los. Der 65-jährige Filmproduzent Harvey Weinstein wurde nach zahlreichen Vergewaltigungsvorwürfen von seinem Filmstudio TWC entlassen. Eine hitzige Debatte wurde in den sozialen Netzwerken entfacht und so entstand die #MeToo-Kampagne, die inzwischen weltweit hohe Wellen schlägt. Und nun hat sie auch die Sportwelt erreicht, in der das Thema sexuelle Gewalt allzu oft tabuisiert wird.

Scherbo betreibt heute eine Turnschule für Kinder

Nach ihrem Doppelgold in Barcelona beendete Gutsu ihre Karriere als Turnerin und fing in den USA ein neues Leben an. Vielleicht auch, um dem Klima in ihrem Team zu entgehen, das sie heute anprangert. In ihrem Facebookpost nennt Gutsu auch die Namen Rustam Scharipow, Turn-Olympiasieger 1992 und 1996, und Tatyana Poropowa. Beide sollen von den Vorfällen im Team gewusst haben. “Tatyana Poropowa, ich dachte, du wärst meine Freundin und Teamkollegin im Nationalteam der UdSSR. Danke, dass du nicht für mich da warst, als ich dich am meisten brauchte. […] Rustam Scharipow, danke, dass du ein guter Freund deines Kumpels warst und mich als kleines, 15-jähriges Mädchen nicht beschützt hast.”

Heute ist Tatiana Gutsu 41 Jahre alt und betreibt in Detroit eine Kunstturn-Akademie.

Vitaly Scherbo, der bisher zu den Vorwürfen schweigt, betreibt übrigens heute eine Turnschule in Las Vegas, in der “Ihr Kind in einer positiven Atmosphäre von hoch qualifiziertem Personal und einem der höchstdekorierten Athleten der Turngeschichte lernen kann”, wie es auf der Webseite heißt.

“Er steckte seine Finger in meine Vagina”

Die Geschichte von Tatiana Gutsu ist kein Einzelfall. Dafür steht auch die jüngste Offenbarung von McKayla Maroney, die 2012 in London die Silbermedaille gewann. In ihrem offenen Brief erzählt Maroney von sexuellem Missbrauch durch den damaligen US-Teamarzt Dr. Larry Nassar. “Es begann, als ich 13 Jahre alt war, in einem meiner ersten Trainingscamps mit dem Nationalteam und dauerte, bis ich mit Sport aufgehört habe”, schreibt Maroney, die nicht ins Detail geht. “Die Worte von allen in den vergangenen Tagen waren so inspirierend für mich. Ich weiß, wie schwierig es ist, über so etwas Grässliches und Persönliches zu sprechen. Weil es mir auch passiert ist.”

Jamie Danztscher, Olympia-Bronzemedaille-Gewinnerin von 2000, wurde bereits im Februar präziser und erklärte Nassars Praktik so: “Ich hatte starke Rückenschmerzen, ging daher zu Larry. Er steckte seine Finger in meine Vagina, bewegte meine Beine und sagte mir, dass es gleich ein Knacken geben würde.” Der US-Teamarzt rechtfertigte seine Vorgehensweise mit einer “medizinisch notwendigen Behandlung, die seit mehr als 30 Jahren erfolgreich an Patientinnen angewendet wird”. Es wird wohl nicht die letzte #MeToo-Enthüllung in der Sportwelt bleiben.