20 Jahre Guggenheim Museum: Wie Bilbao zum Kunstmekka wurde

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Vor 20 Jahren eröffnete das Guggenheim Museum in Bilbao. Und machte aus einer sterbenden Industriestadt eine Kulturmetropole. Das von Stararchitekt Frank O. Gehry kreierte Gebäude ist zum Wahrzeichen Bilbaos geworden.

Der “Guggenheim-Effekt” – ein geflügeltes Wort und eine Tatsache. Denn was dieses architektonische Wunderwerk aus Kalkstein und Titan am Ufer des Nervión in den vergangenen 20 Jahren geschafft hat, ist wohl einmalig: Es hat einer verloren geglaubten Stadt ein neues Gesicht gegeben.

Bilbao liegt im Norden Spaniens am Golf von Biskaya am Atlantik und galt vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er als wichtigste Industrie- und Hafenstadt des Baskenlandes. Der Zugang zum Meer bescherte der Stadt als bedeutendstem Umschlagplatz in der Region viele blühende Jahrzehnte. Bilbao lebte von Schiffbau, Kohle und von der Stahlproduktion. Doch dann kam die Industrie den neuesten technischen Entwicklungen nichts mehr hinterher. Die Werften und Fabrikanlagen waren veraltet und mussten schließen. Überall verfielen Fabrikhallen, Eisenhütten verwaisten. Viele Arbeiter verließen mit ihren Familien die Stadt, andere blieben – ohne Arbeit und Perspektive. Außerdem war Bilbao eine Hochburg der baskischen Separatistenorganisation ETA, auf deren Konto etliche Terroranschläge gingen. Passionierte Kunstliebhaber waren hier eher eine Seltenheit. Dass ausgerechnet in dieser Stadt ein ambitioniertes Kulturprojekt entstehen sollte, erschien zunächst wie ein schlechter Witz. 

Gegen alle Widerstände

Die US-amerikanische Guggenheim-Foundation suchte Anfang der 1990er nach einem europäischen Museumsstandort und stand mit vielen bedeutenden Städten in Verhandlungen. Das größte Interesse zeigten die Stadtverantwortlichen Bilbaos. Sie wollten das Projekt unbedingt an Land ziehen – schließlich konnte ein international renommierter Kunsttempel für die heruntergekommene Stadt eine Riesenchance bedeuten.

Im Innern kann dem Besucher leicht schwindelig werden: Gerade ist hier kaum etwas

Der Deal war denkbar einfach: Die Basken stellten Fläche und Geld zur Verfügung, dafür sollte die Guggenheim-Foundation ihre Sammlungen beisteuern und sich um das komplette Management kümmern. Die Einwohler Bilbaos gingen auf die Barrikaden: Sie verstanden nicht, warum ihre Stadt die vielen Millionen für ein Museum ausgeben wollte, anstatt in die Modernisierung der Industrieanlagen zu investieren und der Bevölkerung zu helfen. Die Künstler der Region befürchteten, von den Amerikanern in einer Art Kunstkolonialismus übergangen zu werden. Guggenheim selbst ließ eine Machbarkeitsstudie erstellen, in der von mindestens einer halben Million Besucher pro Jahr ausgegangen wurde. Das schien zwar utopisch, dennoch ließen sich alle Beteiligten auf den Deal ein.

Der durchgedrehte Architekt

Alle Skeptiker sollten ihr blaues Wunder erleben. Über vier Jahre vollzog sich ein komplettes Facelifting der Uferregion am Nervión: Die verrosteten Werften verschwanden, Grünflächen und Promenaden wurden angelegt. Mittendrin ein gigantisches Gerüst aus rostroten gebogenen Stahlstreben, das ein wenig an eine irrwitzige Achterbahn erinnert. Der kanadische Architekt Frank Gehry hatte mit seiner unkonventionellen Art schon mehrfach für Furore gesorgt: Dekonstruktivismus war und ist seine Zauberformel: Ecken und Geraden scheinen nicht zu existieren, stattdessen Wellen, Bögen und Kurven. Alles wirkt ein bisschen chaotisch ineinander verschachtelt – und ist Architektur in feinster Perfektion. Berühmt sind Gehrys Gebäude auf der ganzen Welt: In Panama-Stadt steht das Museum für Biodiversität, in Prag das “Tanzende Haus”, in vielen US-Großstädten hat Gehry seine Marker gesetzt und auch in Deutschland – darunter in Düsseldorf, Hannover und Herford. 


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    Guggenheim Museum in Bilbao (1997)

    1997 eröffnete das Guggenheim Museum in Bilbao. Nach nur vier Jahren Bauzeit stand das Gebilde aus Titan, Sandstein und Glas am Ufer des Nervión und ist zum Wahrzeichen der baskischen Hauptstadt geworden. 20 Millionen Besucher haben der einst heruntergekommenen Stadt neuen Reichtum beschert. Viele kommen nicht nur wegen der Kunst, sondern auch um das Gebäude zu sehen.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    Tanzendes Haus in Prag (1996)

    Es ist ein Bürogebäude, direkt am Ufer der Moldau und fernab vom Touristenstrom, der sich etwa einen Kilometer weiter nördlich durch die Gassen der tschechischen Hauptstadt schlängelt. Frank Gehry hat es zusammen mit dem kroatischen Architekten Vlado Milunić gebaut. Es erinnert an eine Tänzerin, die sich an ihren Tanzpartner schmiegt. Daher hat es den Spitznamen “Ginger und Fred” bekommen.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    Vitra Design Museum in Weil am Rhein (1989)

    Der kleine Ort Weil am Rhein im südlichsten Baden-Württemberg ist der deutsche Hauptsitz der Schweizer Möbelfirma Vitra. Die Designer-Möbel brauchten ein Zuhause, und so beauftragte Vitra den Stararchitekten aus Kanada. Hier wird Design in Beziehung zu Architektur, Kunst und Alltagskultur gesetzt. Gehry baute in der gleichen Weise auch die Fabrikhalle des Möbelherstellers.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    Neuer Zollhof in Düsseldorf (1999)

    Die drei Fassaden der “Gehry-Bauten” im Kunst- und Medienzentrum im Düsseldorfer Medienhafen sind nicht ganz so verschachtelt und gewölbt – aber tragen unverkennbar Gehrys Handschrift. Gehry hat hier verschiedene Materialien eingesetzt und die Gebäudeteile so platziert, dass sich die Häuser auf der nördlichen und auf der südlichen Seite spiegeln können.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    Biomuseo in Panama-Stadt (2014)

    Panama besitzt eine außerordentliche Artenvielfalt. Um dies zu dokumentieren, entstand das Museum of Biodiversity, Gehrys erstes Projekt in Südamerika. Die bunten Farben der Fassaden und Dächer erinnern an die einheimische Architektur karibischer Wohnhäuser. Im Museum sind unter anderem die Entstehung und Entwicklung Panamas sowie die Naturwunder und Artenvielfalt des Landes zu sehen.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    MARTa in Herford (2005)

    Das Museum für zeitgenössische Möbelkunst und Design “MARTa” besteht aus roten Klinkern und Edelstahl, verbaut im Gehry-typischen Stil. In die Dächer wurden Lichtschächte eingearbeitet. Das extravagante Gebäude stieß in der 66.000-Einwohner-Stadt in Ostwestfalen auf wenig Gegenliebe: Es war zu teuer. Inzwischen aber ist es ein Touristenmagnet und die Herforder haben sich mit dem Bau versöhnt.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    Fondation Louis Vuitton in Paris (2014)

    Eine “Glaswolke” nannte Gehry diesen Museumsbau, bestehend aus zwölf einzelnen Raumelementen, die an Schiffssegel erinnern. Das Material: Holz, Stahl und Glas. Das Licht wird auf raffinierte Art und Weise gebrochen, damit es im Innern gleichmäßig ist. Die Stiftung des Luxuslabels Louis Vuitton zeigt in ihrem Museum zeitgenössische Kunst unter anderem von Warhol, Gursky, Richter und Koons.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    Disney Concert Hall in Los Angeles (2003)

    Dass Gehry Kunsttempel bauen konnte, hatte er genügend bewiesen. Als er den Zuschlag für den Bau eines neuen Konzerthauses bekam, gab es viele Skeptiker. Gehrys dekonstruktivistische Architektur ist nicht jedermanns Sache. Die Frage war, ob so ein Gebäude denn vernünftig klingen würde. Die Antwort: Die Disney Concert Hall gehört zu den bedeutendsten Konzerthallen der Welt. Auch wegen der Akustik.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    “Gehry Residence” in Santa Monica

    Selbstredend kann ein Architekt wie Frank Gehry nicht in einem schlichten Bungalow wohnen. So gestaltete er dieses Haus im kalifornischen Santa Monica um – nachdem er es 1977 gekauft hatte – indem er immer wieder neue Elemente um das eigentliche Haus herum- und andere Teile angebaut hat. Mehrfach. Gehry selbst bezeichnet sein Wohnhaus als sein “Ideenlabor”.


  • Spektakuläre Architektur von Frank O. Gehry

    Der erfahrene Baumeister

    Frank Gehry ist fast 90 Jahre alt. Seine Karriere als Stararchitekt begann spät: Erst mit dem Bau des Vitra Design Museums 1989 wurde er international bekannt. Für Gehry nicht zu spät: “Architekten werden erst ab fünfzig oder sechzig richtig gut, weil sie in einem Erfahrungsberuf arbeiten und viele Jahre brauchen, um eine einzigartige Sprache zu entwickeln”, sagte er dem Zeitmagazin.

    Autorin/Autor: Silke Wünsch


1997 war Gehrys Gebäude nach vierjähriger Bauzeit fertig: ein formenreiches Riesengebilde, versiegelt mit Titanplatten – das je nach Standpunkt – mal an eine halbe Artischocke, mal an ein Schiff und mal an einen geköpften Fisch ohne Schwanzflosse erinnert. Hier und da guckt eine Glasfassade hervor, das silberne Titan mischt sich mit dem hellen spanischen Kalksandstein. Das Gebäude hat keinen Anfang und kein Ende, kein rechts oder links, aber ein Mittendrin: Der höchste Raum ist mit 50 Metern die zentrale Atriumhalle, der größte Raum jedoch ist eine Galerie von etwa 130 Metern Länge und 30 Metern Breite – Platz für gigantische Skulpturen. Alles ist lichtdurchflutet, wirkt leicht, verspielt, ein Labyrinth auf drei Ebenen mit Türmchen, Galerien, Ecken, Nischen, Winkeln, Fenstern, Oberlichtern. Obwohl das Gebäude im Innern nicht weniger aufregend ist, stiehlt es der Kunst, die es beherbergt, keinen Augenblick die Show. 

“Scheiß auf die Kunst”

Am 19. Oktober 1997 eröffnete der damalige spanische König Juan Carlos das neue Guggenheim-Museum an der Avenida Abandoibarra. Und die Fachwelt überschlug sich mit Lob und Begeisterung. Auch die US-Architektenlegende Philip Johnson verbeugte sich vor seinem Kollegen: “Das ist das beste Bauwerk unserer Zeit.” Und warf Skeptikern, die das Gebäude für zu dominant hielten, noch diesen Satz vor die Füße: “Wenn ein Bauwerk so ist wie dieses, dann scheiß auf die Kunst.”

Das Guggenheim Museum wurde von Kunst- und Architekturbegeisterten aus der ganzen Welt nahezu überrannt. Aus der erhofften halben Million Besucher pro Jahr wurde eine ganze Million. Nahezu 170 Ausstellungen zeigten bisher zeitgenössische Kunst von den größten Kunststars der letzten vier Jahrzehnte wie Yves Klein, Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Gerhard Richter und Jeff Koons, um nur einige zu nennen. Und entgegen der Befürchtungen im Vorfeld bekamen spanische und baskische Künstler im Guggenheim eine eigene Sektion.

Keine Angst vor Spinnen! Die Skulptur “Maman” stammt von Louise Bourgeois

Bilbao blühte auf und leistete sich weitere Stararchitekten: Der Brite Norman Foster baute eine komplette U-Bahn-Linie, der Portugiese Álvaro Siza entwarf ein Universitätsgebäude und ein Flughafenterminal, und die nahe des Museums gelegene Fußgängerbrücke “Zubizuri” baute der Spanier Santiago Calatrava. Feine Hotels und Boutiquen entstanden, die besten Restaurants laden zur feinen baskischen Küche ein. 

Bilbao-Effekt: Kunst macht Städte attraktiv

Insgesamt 20 Millionen Besucher haben der heruntergekommenen Stadt neues Leben eingehaucht. Der Guggenheim- oder auch Bilbao-Effekt ist ein Synonym dafür geworden, wie Kunst und Kultur einer wirtschaftlich am Boden liegenden Region wieder zu Auftrieb verhelfen kann. Das feiert die Stadt zum 20. Jubiläum ausgiebig. Das ganze Jahr schon gab es Veranstaltungen und Ausstellungen, unter anderem eine Schau über den abstrakten Expressionismus in Nordamerika von De Kooning über Pollock bis Rothko. Eine andere Ausstellung zeigte die Pariser Avantgarde des Fin de Siècle unter anderem mit Paul Signac und Pierre Bonnard.

Einer der Höhepunkte war die Lichtshow “Reflections”. Die Geschichte des Museums und ihre berühmtesten Ausstellungen wurden als Lichtinstallation auf die Außenfassaden des Gebäudes projiziert. Als Hommage an die Spinnenskultpur “Maman” laufen Spinnen über bewegliche Spinnennetze, hunderte bunter Pudel erinnern an die Blumenskulptur “Puppy”, Frank Gehrys Skizze zum Museumsbau huscht über die Titanwände – und immer wieder Formen und Farben. 200.000 Zuschauer haben das Spektakel gefeiert. Und das Jahr ist noch nicht zu Ende.