Wie viel Gesundheit kommt in die Cloud?

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Antibiotika-Resistenzen, Pandemien oder seltene Krankheiten: Beim World Health Summit in Berlin geht es um Strategien, wie Gesundheitsgefahren global bekämpft werden können. Dabei geht es immer öfter um Bits & Bytes.

Vertrauen Sie ihrem Arzt? Und wissen sie wirklich, wie gut seine Diagnose ist? Wer über diese Dinge nachdenkt, der wird sich unweigerlich fragen: Hat mein Arzt genügend Fachwissen und Erfahrung, um die richtige Therapie zu finden? Eine Antwort darauf ist schwierig, hat viele Unsicherheiten. Die Frage wird noch komplizierter in Ländern, in denen das Gesundheitswesen chronisch unterfinanziert ist oder im Zweifel kurz vor dem Kollaps steht. In einer Welt mit 193 Staaten, also mindestens 193 unterschiedlichen Gesundheitssystemen, fehlte es bislang an zündenden Ideen, wie Milliarden von Patienten insbesondere in abgelegenen, ländlichen Regionen an gute, medizinische Versorgung kommen können.

Prominente Gäste in Berlin: Auch Prinzessin Dina Mired aus Jordanien ist gekommen.

Mit dem diesjährigen Weltgesundheitsgipfel (World Health Summit) in Berlin ist klar: Nichts regt die Fantasie von Gesundheitsexperten so sehr an wie die Aussicht, dass Datennetzwerke und Cloud-Lösungen zu der neuen Waffe im Kampf gegen multiresistente Keime, Pandemien oder seltene Krankheiten werden könnten. So geschehen auch auf dem diesjährigen Kongress in Berlin, für den rund 2000 Gesundheitsexperten aus über 100 Ländern zusammenkamen.

 

Digitale Heilsbotschaften 

Statt allein auf das Fachwissen des vor Ort behandelnden Arztes vertrauen zu müssen, könnten medizinische Entscheidungen künftig datenbasiert gefällt werden. Im Abgleich mit 100.000 und mehr Fällen, in denen Arzt und Patient vor ähnlichen medizinischen Fragen standen. Das soll die Qualität der einzelnen Entscheidungen verbessern und Qualitätsmedizin auch für die Ärmsten der Armen verfügbar machen. Das sind Versprechen, die derzeit gerne von Vertretern großer IT-, Pharma- und Medizintechnik-Konzerne gestreut werden. In Pilotprojekten in Botswana oder im amerikanischen Bundesstaat Kansas läuft diese datenbasierte Medizin bereits im Testbetrieb. Grundlage ist der Datenaustausch in der Cloud, lernfähigen IT-Systemen und einer immer leistungsfähigeren Daten-Infrastruktur. Die bestmöglichste Diagnose, bald also ein Fall für den Big-Data-Spezialisten?

Noch beherrschen Skepsis und Datenschutzbedenken die Debatte, was auch der Repräsentant des amerikanischen Softwarekonzerns Microsoft zu spüren bekam. Er warb eindringlich dafür, nicht jeglichen Fortschritt durch überbordende Sicherheitsbedenken zu blockieren. “Ich verbringe mehr als die Hälfte meiner Zeit damit, den Menschen klar zu machen, dass Cloud-Lösungen nicht die Gefahr, sondern im Gegenteil die große Chance für das globale Gesundheitssystem sind”, so Neil Jordan von Microsoft Health. Zwar brauche es strikte Regeln, um den sensiblen Datenaustausch von digitalen Patientenakten zu organisieren und gegen Missbrauch zu schützen. Dies sei aber organisierbar, ebenso wie die Weltgemeinschaft sich auf ein Weltklimaabkommen verständigen konnte.

Deutschland hat Gesundheitfragen ganz oben auf die Agenda gesetzt, wie hier beim G20-Gesundheitsministertreffen im Mai in Berlin.

Hoffnung Cloud

Die Politik scheint den Faden aufgenommen zu haben. Zeitgleich zum Kongress in Berlin tagen in Estlands Hauptstadt Tallinn Gesundheitsexperten aus allen EU-Ländern, um über praktische Schritte bei der Digitalisierung des Gesundheitssektors zu beraten. Wie lassen sich Datenschutz und Cloud-Lösungen zusammenbringen? Den Impuls gab die derzeitige estnische EU-Ratspräsidentschaft, die als besonders technikaffin gilt. Auch im Rahmen der deutschen G20-Präsidentschaft wurde beim Treffen der Gesundheitsminister im Mai ausgelotet, welche Kooperationsmöglichkeiten in diesem Bereich bestehen.   

In lebendigen Debatten zeigte sich jetzt auf dem Weltgesundheitsgipfel aber, wie sehr der mögliche Hype um die digitale Medizin ganz praktische Fragen unter den Tisch fallen lässt. So musste eine kanadische Ärztin aus dem Publikum die Kongressteilnehmer daran erinnern, dass es in vielen Ländern derzeit akute Lieferengpässe für sehr günstige, aber oft lebenswichtige Standardmedikamente gebe. Zudem warnen einige Gesundheitsexperten seit Jahren, dass insbesondere neue Medikamente oft so teuer auf den Markt kommen, dass sie unerschwinglich sind. Auch was die Erreichbarkeit der datenbasierten Medizin angeht, kamen Zweifel auf. Ein Abgeordneter des portugiesischen Parlaments rief dazu auf, realistisch zu bleiben. Es bedürfe sehr viel Vorarbeit, um überhaupt an brauchbare Daten zu kommen. “Wir haben doch derzeit gar keine Instrumente, um Patientendaten zu sammeln, geschweige denn, sie mit vergleichbarer Datenqualität aufzubereiten.”

Kreativer Protest für mehr Engagement im Kampf gegen Armutskrankheiten

Antibiotika-Resistenzen, Pandemien und knappes Geld

Neben den digitalen Zukunftsvisionen wurde deshalb auf dem Kongress dann doch noch über die Gegenwartsprobleme gesprochen. Die deutsche G20-Präsidentschaft hatte den Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen und die Vorbereitung auf Pandemien wie Ebola, SARS oder das Zicka-Virus auf die Bühne der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gehoben. Ein richtiger Schritt, findet Anthony Nsiah-Asare von Ghana Health Services. “Wir sind uns jetzt alle bewusst, dass wir uns um Antibiotika-Resistenzen kümmern müssen”, erläutert Nsiah-Asare gegenüber der DW. “In Ghana arbeiten wir hart daran, all das umzusetzen, was wir uns in unserem nationalen Aktionsplan vorgenommen haben.”

Ein gutes Jahr für den Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen: Anthony Nsiah-Asare von Ghana Health Services

Im Mai hatten die G20-Gesundheitsminister besonders intensiv darum gerungen, wie verhindert werden kann, dass der zu häufige Einsatz von Antibiotika zu Resistenzen führt, die Medikamente wirkungslos werden lassen. Daraufhin verpflichteten sich die Vertreter der G20-Staaten dazu, bis 2018 eine Verschreibungspflicht für diese Medikamentengruppe einzuführen und die Forschung voranzutreiben. Masuma Mamdani, Expertin des Ifakara Health Institute aus Tanzania, warnte allerdings davor, die Regulierung beim Zugang zu Antibiotika zu eng zu fassen. Der DW sagte sie: “Die Realität ist, dass in vielen Ländern der freie Zugang zu Apotheken der einzige Zugang zu medizinischer Versorgung überhaupt ist.” Sie frage sich, wie eine sinnvolle Regulierung und Verschreibungspflicht aussehen könne, die die Menschen nicht um diesen Zugang bringt. Angesprochen auf die digitale Agenda des Kongresses ist auch sie überzeugt: Offline-Lösungen bleiben wichtig, ganz gleich, was die medizinische Werbebranche sagt.