Souad Mekhennet: “Ich versuche, Dschihadisten zu verstehen”

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Sie löchert IS-Kommandeure mit kritischen Fragen, trifft sich mit Dschihadisten, deren Kinder “Ungläubige töten” spielen. Im DW-Interview berichtet die deutsche Journalistin Souad Mekhennet von ihren Begegnungen.

Als Tochter von türkisch-marokkanischen “Gastarbeiter-Eltern” wurde Souad Mekhennet in Frankfurt geboren. Die Autorin kam in ihrer Kindheit und Jugend immer wieder in Situationen, in denen sie das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören, nicht als Deutsche akzeptiert zu werden. Nach ihrem Hochschulstudium besuchte sie die renommierte Henri-Nannen-Schule, eine Journalistenschule in Hamburg. In den USA arbeitet sie inzwischen als Redakteurin und Reporterin für die “Washington Post”. Gerade ist ihr aktuelles Buch über die Beweggründe von IS-Kämpfern auf Deutsch erschienen. Auf der Frankfurter Buchmesse konnte DW-Autorin Sabine Kieselbach mit der Journalistin über das Buch “Nur wenn du allein kommst” und ihre gefährliche Recherche in der Welt der Dschihadisten sprechen.

DW: Frau Mekhennet, Sie arbeiten als Reporterin bei der “Washington Post”. Der Film “Die Unbestechlichen” hat Sie seinerzeit für Ihre Berufsfindung inspiriert und nun stehen Sie dort, wo die beiden Investigativjournalisten waren. Wie fühlt sich das an?

Souad Mekhennet: Es fühlt sich fast surreal an. Ich habe damals als Teenager diesen Film über die Watergate-Affäre gesehen, über zwei Journalisten von der “Washington Post”, die durch ihre Recherchen dafür gesorgt haben, dass ein Präsident gestürzt wurde. Das fand ich unglaublich. Diese Männer, die nicht aus irgendwelchen einflussreichen oder reichen Familien kamen, konnten durch ihren Job soviel Einfluss nehmen und etwas bewirken. Aber natürlich war der Weg einer Tochter von Gastarbeitern, die in Deutschland lebt, bis zur “Washington Post” ein sehr langer Weg.

Sie schauen in Ihren Reportagen in die Abgründe von politischen Situationen, aber auch in die Abgründe der menschlichen Seele.

Ich bin dem Bösen sehr oft begegnet in meinem Leben. Schon als Teenager in Frankfurt bin ich auf der Straße von Skinheads gejagt worden, mit der Androhung, getötet, vergast zu werden. Das war zu der Zeit, als in Deutschland Häuser von türkischstämmigen Migranten brannten.

Souad Mekhennet will verstehen, um zu verändern

Ich glaube auf dieser Welt gibt es auf verschiedenen Ebenen sehr viele Menschen, die mit dem, was wir das Böse nennen, zu tun haben. Ich hatte die Frau eines Feuerwehrmannes getroffen, der während der Anschläge vom 11. September ums Leben kam. Diese Ehefrau sagte uns Journalisten: “Ich glaube, dass ihr Medien und die Politiker auch eine Mitschuld an dem tragt, was passiert ist am 11. September, weil uns niemand  da draußen erklärt hat, warum uns diese Menschen so sehr hassen!”

Sie hatte recht: Wir berichten über die Anschläge immer erst, wenn sie geschehen sind, aber wir beschäftigen uns nicht mit den Leuten oder mit ihren Argumenten, bevor sie zu Massenmördern werden. Ich habe es mir dann zur Aufgabe gemacht, genau das zu ergründen und fing an, in die sogenannte Welt des Dschihad zu reisen. Teilweise saß ich mit Menschen zusammen, die mir sagten, wenn du jemand wärst, der aus Amerika kommt oder aus dem und dem Land, würden wir dich sofort entführen und umbringen. Da wissen Sie nicht, ob Sie nochmal lebend aus diesem Interview herauskommen. Und dann müssen wir natürlich damit umgehen. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass wir diese Aufgabe annehmen.

Sie sagen, dass Sie vermitteln wollen und Brücken bauen möchten. Jetzt wird Ihr Buch ins Arabische übersetzt. Wie reagiert die “andere Seite” auf Ihre Arbeit?

Bevor ich in irgendwelche Interviews gehe, erkläre ich den Leuten von Anfang an: Ich bin Journalistin. Jeder weiß, ich arbeite für die “Washington Post”, ich verheimliche das nicht, wir machen keine Undercover-Geschichten. Ich sage: Ich komme und höre mir deine Seite an. Ich werde dir auch kritische Fragen stellen, ich werde aber deine Antworten auf diese Fragen in meinem Artikel fair wiedergeben. Bisher – ich klopfe auf Holz – hat das sehr gut funktioniert.

Ich unterwerfe mich in den Gesprächen keinen Regeln. Da wird meinem Gesprächspartner von Anfang an ganz klar gesagt, dass ich nur akzeptiere, zu kommen, wenn ich die Fragen stellen kann, die ich möchte und zum Beispiel auch keine Interviews hinterher nochmal vorzeige, damit die Dinge rausstreichen. Allerdings ist es natürlich mein Job, auch als Journalistin, dafür zu sorgen, alles mögliche zu tun, damit diese Leute, die einverstanden sind sich mit mir zu treffen, nicht in Gefahr zu bringen durch unser Interview. Das ist manchmal eine sehr schwierige Aufgabe, ich beschreibe das auch in meinem Buch.

Sind Sie bei Ihrer Arbeit schon an Ihre Grenzen gekommen?

Es gab eine Situation, in der ich im Libanon den Sohn eines Kämpfers sah. Er spielte mit seinem Freunden das Spiel “Ungläubige töten”. Ein kleiner Junge, gerade mal fünf Jahre alt. Das hat mich sehr mitgenommen. Und manchmal gibt es Situationen, in denen Sie wirklich denken, dass Sie aus dieser Lage nicht mehr herauskommen. Ich saß im Gefängnis in Ägypten. Ich wurde mit allen möglichen Dingen bedroht, gefesselt. Mir wurden die Augen verbunden und ich wurde in einen Raum geführt, in dem eine Frau schrie. Da dachte ich, jetzt werde ich vergewaltigt. Da kommen Sie als Frau und auch als Journalistin an bestimmte Grenzen und müssen dann eine Methode finden, um die Angst zu überwinden und dann trotzdem weitermachen. 

DW-Reporterin Sabine Kieselbach mit der Autorin Souad Mekhennet (links) bei der Frankfurter Buchmesse

Sie waren schon sehr oft brenzligen Situationen ausgesetzt, in denen Sie nicht wussten, wie die Situation ausgehen wird. Suchen Sie das Risiko bewusst?

Ich habe diese Begegnungen gesucht, weil ich glaube, dass es die einzige Möglichkeit ist, mit diesen Leuten zu reden, ihre Motivation zu verstehen, aber dann auch Gegenargumente zu geben. Wenn Sie das Buch lesen, dann sehen Sie, dass ich mit dem IS-Kommandeur im Auto eine Diskussion geführt habe, die bis zu einem bestimmten Punkt ging. Bis zu dem Moment, als er mit seiner Hand an die rechte Hosentasche fasste. Ich wusste, da hat er seine Waffe und dann musste ich meine kritischen Fragen etwas zurückstellen. Aber es geht natürlich darum, dass ich versucht habe, mit diesen Leuten zu argumentieren und zu verstehen, warum sie so geworden sind. Und nur dann gibt es die Möglichkeit zu überlegen, was die Gesellschaft tun kann, um dem entgegenzuwirken.

Sie versuchen, die Frauen und Männer des sogenannten Islamischen Staats zu verstehen. Haben Sie dabei etwas herausgefunden, was wir noch nicht wissen?

Der sogenannte IS, auch wenn wir das als eine homogene Gruppe sehen, ist in sich auch sehr heterogen. Ich weiß, dass es Konflikte gab zwischen einzelnen Nationalitäten. Ich glaube, wir müssen aufpassen als Journalisten oder auch als Gesellschaft, dass wir die Situation nicht präsentieren als: Die gegen uns, die Terroristen, die gegen den Westen sind und gegen unsere Lebensart und unsere Werte. Das höre ich sehr oft und finde es fatal, denn so es ist nicht.

Es wäre sehr problematisch, wenn wir es aus der Perspektive sehen, dass es mit dem Islam zu tun hat und diese Menschen, weil sie Muslime sind, den Westen hassen. Das ist genau das Kalkül dieser IS-Anhänger. Sie wollen, dass ein religiöser Konflikt entsteht. Diesen Gefallen sollte man ihnen nicht tun.