Frankfurter Buchmesse: Neue Verlage braucht das Land

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Der Buchbranche geht es nicht gut, so der allgemeine Tenor. Digitaler Wandel, Kannibalisierung im Buchhandel, Verlagsinsolvenzen: All das ist Realität. Und doch werden immer wieder neue Verlage gegründet. Zwei Beispiele.

Es ist viel von der Krise der Buchbranche die Rede. Wenn man sich die rückläufigen Umsatzzahlen in vielen Bereichen des Marktes im Allgemeinen und Insolvenzen von Verlagen im Speziellen anschaut, dann ist das auch statistisch belegbar. Auf der anderen Seite gibt es immer auch wieder mutige und enthusiastische Büchermenschen, die es wagen einen neuen Verlag zu gründen. Wir haben mit einigen gesprochen.

Julia Eisele ist schon seit über 20 Jahren im Geschäft. Zuletzt war sie Programmleiterin beim Piper-Verlag. Jetzt hat sie ihr eigenes Unternehmen gegründet, den Eisele-Verlag. Mit dem ist sie in diesem Jahr erstmals zur Frankfurter Buchmesse gekommen. Am Stand von Ullstein hat sie sich angedockt, präsentiert ihre ersten vier Bücher. Kein eigenständiger Messe-Stand, das wäre zu teuer, dafür ist sie bei Ullstein zentral vertreten, mitten im Messetrubel.

Julia Eisele: “Es gehört Mut dazu, einen Verlag zu gründen.”

Muss man nicht Berufsoptimistin sein, um in diesen krisengeschüttelten Buchmarkt-Zeiten mit einem neuen Verlag anzutreten? Solange sie sich erinnern kann, so lange werde auch schon gejammert in der Branche, antwortet Julia Eisele schnell und lacht: “Ja, ich bin Berufsoptimistin, ich habe aber ja auch einige Erfahrungen gesammelt.”

“Ich bin Berufsoptimistin” – die Verlegerin Julia Eisele

Viele Leute hätten zu ihr gesagt: “Du bist aber mutig, dass Du das jetzt machst!” Denen antworte sie stets: “Ja, es gehört sicher Mut dazu, so ein Unternehmen zu gründen. Auf der anderen Seite weiß ich aber, was ich tue.” In der Branche gebe es Leute, die einen Verlag gründen, obwohl sie überhaupt keine Erfahrungen hätten: “Das finde ich dann nochmal sehr viel mutiger.” Sie hingegen weiß, mit wem sie in welchen Bereichen zusammenarbeiten kann und will.

Angefangen habe sie als Taschenbuch-Lektorin, erinnert sich Eisele, sie habe sehr viele unterschiedliche Projekte betreut: “Einfach durch die schiere Masse, durch das ‘Try and Error’ lernt man sehr viel.” Es gehe ja auch nicht immer nur darum, seine absoluten Lieblings-Bücher zu machen: “Man versucht, Bücher zu machen, die auch anderen Leuten gefallen und die sich verkaufen können.” Deswegen sei sie optimistisch, “aber nicht wahnsinnig und nicht verrückt.”

Auch der “Verlag Das Kulturelle Gedächtnis” ist zum ersten Mal in Frankfurt

Als verrückt würden sich auch die vier Herren des im Frühjahr gegründeten Verlags mit dem schönen Titel “Verlag Das Kulturelle Gedächtnis” sicherlich nicht bezeichnen. In einer Ecke am Rande einer der Frankfurter Messehallen haben sie eine kleine Koje gemeinsam mit anderen Klein-Verlagen. Auch bei dieser Neugründung setzt man vor allem auf Erfahrung.

Enthusiastische Büchermenschen: Tobias Roth (l.) und Peter Graf von “Verlag Das Kulturelle Gedächtnis”

Peter Graf hat auch zwei Jahrzehnte Berufserfahrung auf dem Buckel, hat unter anderem als Lektor und Herausgeber gearbeitet, hat darüberhinaus einen anderen Verlag: “Ich mache das jetzt seit 20 Jahren, ich kann mir gar nichts anderes mehr vorstellen.” Warum wagt er aber jetzt noch einmal den Sprung ins kalte Wasser in einem Umfeld, das ja nicht gerade mit Wachstums-Zahlen glänzt?

“Ich muss mir in meiner eigenen Berufs-Biografie immer mal wieder neue Reize setzten, damit man irgendwie immer noch enthusiastisch sein kann und neue Energie bekommt”, meint Graf. Er und seine drei Mitstreiter setzen dabei auf ein besonderes Konzept: Sie müssen nicht vom Verlag leben. Graf selbst ist Teilhaber von “Graf und Walde”, einem Verlags-Unternehmen, das unter anderem Bücher für große Tageszeitungen macht. Seine drei Kollegen Thomas Böhm, Carsten Pfeiffer und Tobias Roth sind alle in anderen Bereichen der Branche fest verankert, verdienen ihr Geld in unterschiedlichen Funktionen.

Der kriselnde Branche mit neuen Konzepten trotzen

Für ihre Arbeit im “Verlag Das Kulturelle Gedächtnis” lassen sie sich kein Gehalt auszahlen: “Alles Geld, was rein kommt, wird in den neuen Verlag reinvestiert”. Man müsse eben Ideen haben, die funktionieren in der kriselnden Branche, sagt Graf: “Unser Konzept ist, dass da nicht so ein großer Druck drauf ist. Da muss jetzt niemand von leben.” In dieser Größenordnung – der Verlag gibt drei bis vier Titel pro Halbjahr heraus – funktioniere das auch gut, gibt sich Graf zuversichtlich.

Spitzentitel von Eisele in diesem Herbst: Die Farbe von Milch

Julia Eisele hingegen hat, was das Finanzielle betrifft, einen “ganz normalen” Verlag gegründet. Sie macht das hauptberuflich. Doch hat sie einen potenten Investor gefunden, einen “Sandkastenfreund”, wie sie erzählt, der einen Betrag investiert und ein Darlehen gegeben hat. Auch für Julia Eisele liegt der Schlüssel zum Erfolg einer neuen Verlagsgründung in der Beschränkung: Mit vier Titeln ist sie nach Frankfurt gekommen. Mehr will sie pro Buch-Saison auch nicht verlegen: “Das doppelte an Büchern hätten wir nicht machen können”.

Das Problem beim Verlegen sei, erzählt Eisele, dass das Geschäft sehr kapitalintensiv ist und man einen langen Atem bräuchte: “Der Vorlauf verursacht Kosten – daher kommt ja das Wort Verlegen, vom Vorlegen, vom Vorstrecken des Geldes.” Druck, Vertrieb, Logistik, das alles koste “ganz schön viel Geld”.

Tobias Roth: “Freude daran, die literarischen Funde mit anderen zu teilen.”

Und warum machen sie das überhaupt, Bücher verlegen in diesen digitalen Zeiten? Neben Peter Graf steht Tobias Roth am Messe-Stand. Das sei auch eine Art “Mitteilungsbedürfnis, eine Freude, diese Funde, die wir alle machen, zu teilen”, sagt Roth. Und fügt voller Enthusiasmus hinzu: “Auch ein Anteil ‘Schabernack’ ist dabei, der darf nicht fehlen: Der Spaß, den man hat, wenn man sich überlegt, wie kann man so ein Buch machen? In welchen Kontext kann man das rücken? Wie benachwortet man das?”

Wiederausgegraben: Ernst Ottwalts “Denn sie wissen was sie tun”

Beim “Verlag Das Kulturelle Gedächtnis” erscheinen Romane und Essays, es sind vor allem Bücher und Texte älteren Datums, die lange vergriffen oder gar noch nie erschienen sind, die für die vier Herausgeber aber von großer Aktualität sind. Wie der Roman “Denn Sie wissen was sie tun” von Ernst Ottwalt aus dem Jahre 1931, der die Grenzen des Rechtsstaates in der Weimarer Republik auslotet – für Peter Graf heute angesichts neuer rechter Bewegungen ein höchst aktuelles Buch.

An Bestseller-Bietergefechten können sich kleine Verlage nicht beteiligen

Auch für Julia Eisele ist es nicht vorrangig, ob ein Buch gerade erst geschrieben worden ist. Ihr Spitzen-Titel in diesem Herbst, “Die Farbe der Milch” der Amerikanerin Nell Leyshon, ist in den USA schon vor vier Jahren erschienen. Sie habe das Buch für den deutschen Markt für “relativ wenig Geld” bekommen. Das seien einfach Bücher, die fallen bei Großverlagen durchs Raster. An Bieter-Gefechten von gerade irgendwo in der Welt aktuellen Bestsellern können sich kleine, noch dazu neue Verlagen sowieso nicht beteiligen. Sie stöbern in Nischen. Davon gibt es genug.

Das ist das Geheimnis von Verlagsgründungen. Büchermenschen wie Peter Graf oder Julia Eisele beschäftigen sich intensiv mit jedem einzelnen Titel ihres Programms. Das fängt beim Aufspüren von Manuskripten und vergessenen Büchern an. Weiter geht es über verschiedene Produktionsschritte vom Design und Druck, bis hin zum Marketing und Verkauf: “Ich habe als Programmleiterin von drei Programmen früher nur noch ganz wenig Bücher selber betreuen können”, sagt Eisele.

Der “Eisele-Verlag” präsentiert sich bei der Frankfurter Buchmesse im Zentrum des Geschehens

“Jetzt kann ich ein Projekt von A bis Z betreuen, ohne dass mir irgendjemand anderes reinredet, wie ich das zu machen habe.” Sie könne jetzt bestimmen, wie ein Cover aussieht, sie könne in Ruhe einen deutschen Titel festlegen, mit dem Autor am Inhalt arbeiten, das Lektorat selber machen, überlegen, wie man ein Buch am besten marketingtechnisch platziert, wie man in der Pressearbeit vorgeht: “All diese Dinge mache ich jetzt in Eigenregie.”

Peter Graf: Comeback des schönen, gut ausgestatteten Buchs

Wichtig ist für Peter Graf auch und gerade die “Verpackung”. Das herkömmliche Buch, da ist er sich ziemlich sicher, habe auch deshalb eine Zukunft: “Das spielt tatsächlich eine große Rolle, das physische Buch ist alles andere als tot. Es ist ja auch nie weg gewesen”. Er beobachte, dass sich viele Verleger und Designer erneut dem Buchhandwerk zuwenden würden und über die Ausstattung und die Gestaltung eines Buches wieder ein Stück Buchkultur transportieren: “Das nimmt wieder zu, es gibt etliche Verlage, die wunderschöne Bücher machen, das war vor zehn bis fünfzehn Jahren weniger der Fall.”

Dafür sei der Buchhandel auch dankbar. Natürlich sei es heutzutage schwierig, einen Platz in den Buchhandlungen zu bekommen. “Aber wenn man dem Handel schön gemachte Bücher anbietet, dann wird das zumindest sehr wohlwollend registriert.” Viel Geld verdienen kann man mit dem Verlegen von Büchern sowieso nicht – darin sind sich alle einig, die neue Verlage gründen. Aber darauf kommt es enthusiastischen Bücherliebhabern wie Julia Eisele oder Peter Graf auch gar nicht an.