Baut Siemens mit Alstom den “Airbus der Schiene”?

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Zusammen ist man stärker, vor allem wenn die Übermacht in China so groß ist. Siemens hat die Qual der Wahl und muss sich entscheiden zwischen Alstom und Bombardier, um mehr Marktmacht zu gewinnen.

Werden es die Kanadier oder die Franzosen? Siemens sucht nach Verstärkung, um seine Bahnsparte konkurrenzfähiger zu machen. Schon länger verhandelt der Elektrokonzern Siemens mit der kanadischen Bombardier über eine mögliche Fusion. Ebenfalls im Rennen ist der französische Konkurrent Alstom. Am Dienstag soll nun in München beim Siemens-Aufsichtsrat eine Entscheidung fallen. Ebenfalls wird sich in Paris der Verwaltungsrat von Alstom treffen, berichtete das Handelsblatt in seiner Montagsausgabe.

Konsolidierungsdruck aus China

Die drei Platzhirsche Siemens, Bombardier und Alstom waren durch den Zusammenschluss der beiden größten chinesischen Zughersteller massiv unter Druck geraten. Der dadurch entstandene Weltmarktführer CRRC macht einen Umsatz von gut 18 Milliarden Euro, während die Siemens-Zugsparte, Alstom und Bombardier Transportation einen Umsatz von jeweils rund sieben Milliarden Euro erzielt haben.

Ende Dezember 2016 hatte Chinas Transportministerium angekündigt, massiv in das Netz für Hochgeschwindigkeitszüge zu investieren. Bis 2020 soll das Schienennetz für Schnellzüge demnach auf 30.000 Kilometer vergrößert werden.

Handlungsbedarf besteht zudem, weil CRRC massiv auch auf den westlichen Markt drängt. So hat sich Siemens-Chef Joe Kaeser auf die Fahnen geschrieben, den Chinesen Paroli zu bieten. “Natürlich wird man eine starke Nummer zwei bauen müssen”, hatte er noch August gesagt. Wäre Alstom Partner einer solchen Nummer Zwei, würden in Europa nicht mehr zwei Hochgeschwindigkeitszüge gebaut, der ICE in Deutschland und der TGV in Frankreich, sondern es würde künftig einen “Airbus auf Schienen” geben.

Die beiden potentiellen Partner

Alstom ist nur im Zug-Geschäft aktiv, im Bau von Zügen, Metros, Straßenbahnen und Signaltechnik. Bei einer Zusammenlegung könnte Siemens dem Modell folgen, das der Konzern bereits bei seiner Windkraft-Sparte erprobt hatte. Diese war im spanischen Rivalen Gamesa aufgegangen, der weiterhin börsennotiert ist, aber mehrheitlich Siemens gehört. Bei einer Entscheidung für die Franzosen würde Siemens seine eigene Zug-Sparte bei Alstom einbringen und im Gegenzug die Teile des Konzerns übernehmen, der an der Börse knapp sieben Milliarden Euro wert ist. Französischen Medien berichteten davon, dass Siemens einen “großen Anteil” an Alstom übernehmen würde. Konkreter wurde das “Handelsblatt”, dort war die Rede davon, dass Siemens 50 Prozent des Kapitals der neuen fusionierten Gesellschaft übernehmen würde. Den Aufsichtsrat würde Siemens stellen, geleitet würde das Unternehmen aber weiter von Alstom-Chef Henri Poupart-Lafarge.

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Bevor Siemens die Gespräche mit Alstom aufnahm, waren die Verhandlungen mit Bombardier bereits weit gediehen. Fiele die Wahl auf Bombardier, würden zwei Gemeinschaftsunternehmen für Züge und Signaltechnik gegründet, von denen das erstere von den Kanadiern und letzteres von Siemens geführt würde. Damit wollten die Partner die erwarteten Bedenken der Kartellwächter ausräumen.

Inzwischen sei man bei Siemens aber skeptisch, wie stabil das Konstrukt mit den Joint Ventures sei, sagte ein Insider der Agentur Reuters. Die Eisenbahn-Sparte von Bombardier, die aus der ehemaligen deutschen Adtranz hervorgegangen war, ist der wichtigste Pfeiler der Finanzierung des kanadischen Konzerns, dessen Flugzeug-Sparte angeschlagen ist. Bei größeren Projekten kooperiert Siemens bereits mit dem kanadischen Bahntechnik- und Flugzeughersteller, so beim ICE 4, der neuesten Generation des Hochgeschwindigkeitszuges.

Auf welcher Seite steht die Politik?

Unabhängig davon, wie die Entscheidung am Ende ausfällt, die Wettbewerbshürden sind in beiden Fällen etwa gleich hoch. Da die drei Konzerne, Siemens, Bombardier und Alstom in der europäischen Eisenbahnindustrie führend sind, kann ein Zusammenschluss von zweien ihnen schnell eine dominierende Marktmacht verschaffen.

Laut der französischen Zeitung “Les Echos” kam die Initiative zu einem “Airbus der Schiene” von der französischen Regierung – “im Rahmen einer Annäherung zwischen beiden Ländern”. Paris habe jüngst einen “Botschafter” nach Berlin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel entsandt, die ihre Zustimmung zu einer “Vertiefung des Themas” gegeben habe.

Wenn das Kartellamt grünes Licht gibt, könnte es künftig einen “Airbus von der Schiene” geben, statt einem ICE und einem TGV.

Eine solche Unterstützung der deutschen Politik und auch der Arbeitnehmervertretern braucht Siemens und sein möglicher Partner für die Konsolidierung. Denn in jedem Fall drohen Stellenstreichungen. Alstom beschäftigt in Deutschland 3000 Menschen, Bombardier sogar 8500. Die Kanadier hatten im Juni eine Neuordnung ihrer deutschen Standorte – die im Osten konzentriert sind – beschlossen. Im Zuge dessen sollen bis 2020 bis zu 2200 Arbeitsplätze wegfallen. Der Siemens-Zugsparte geht es deutlich besser.

Die französische Regierung muss bis zum 17. Oktober entscheiden, ob sie einen 20-Prozent-Anteil an Alstom von dessen Großaktionär Bouygues erwirbt. Wenn nicht, hat Bouygues das Recht, seine komplette Alstom-Beteiligung von 28,3 Prozent zu verkaufen.

iw/hb (dpa, rtr, afp, Handelsblatt)