Turbulente Tage im NSU-Prozess

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Nachdem die Anklage das Strafmaß für Beate Zschäpe und ihre mutmaßlichen Unterstützer beantragt hatte, wollten die Opfer-Anwälte mit ihren Plädoyers beginnen. Doch daraus wurde nichts. Aus München Marcel Fürstenau.

Die Zuschauer- und Pressetribüne des Sitzungssaals A 101 im Münchener Oberlandesgericht ist gut gefüllt. Nur wenige der 100 Plätze sind noch frei. Das war an vielen der 382 zurückliegenden Verhandlungstage anders. Nach dem anfänglich immensen Interesse berichteten die meisten Medien mittlerweile nur noch selten über das Strafverfahren gegen den “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU). Zu lang und komplex erschien vielen dieser zweifellos anspruchsvolle Prozess.

Ende Juli dann nahm das Interesse wieder schlagartig zu – weil die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer begann. Mit jedem der acht Verhandlungstage wuchs die Spannung, welches Strafmaß sie für die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte fordern würde. Seit vergangenem Dienstag wissen sie es: Zschäpe soll “lebenslänglich” ins Gefängnis und anschließend in Sicherheitsverwahrung, die anderen zwischen drei und zwölf Jahre. Vor allem die Forderung für André E. – zwölf Jahre – löste allgemein Erstaunen aus. Der 38-Jährige hat als Einziger seit Prozessbeginn im Mai 2013 jede Aussage verweigert.

André E. sucht nach bekannten Gesichtern

Anscheinend rechneten E.s Verteidiger damit, dass ihr Mandant mangels handfester Beweise mit einer milden Strafe davonkommen könnte. Danach sieht es nach dem Plädoyer der Anklage nicht mehr aus. Seit Mittwoch sitzt E. nun in Untersuchungshaft – wegen Fluchtgefahr.

Der Befangenheitsantrag von André E.s Verteidiger Michael Kaiser (r.) bedeutet eine weitere Verzögerung im NSU-Prozess

An diesem Donnerstag erscheint er als einer der ersten im Gerichtssaal. Immer wieder blickte er nach oben in die Zuschauerränge, als suche er jemanden. Kurz bevor der Verhandlungstag beginnen soll, huscht ein Lächeln über sein Gesicht und winkt kurz. Er ist fündig geworden: Mehrere Frauen nehmen zwischen den Journalisten Platz, unter ihnen E.s Frau Susann, die ihren Mann in nächster Zeit nur noch im Gefängnis besuchen kann. Und sollte das Gericht den Vorstellungen der Bundesanwaltschaft folgen, wird die Trennung zwölf Jahre dauern.

Ein Befangenheitsantrag als letzte Hoffnung

Um das Blatt vielleicht doch noch zu wenden, so spekulierten Prozess-Beobachter schon am Dienstag, würden E.s Verteidiger womöglich einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Strafsenat stellen. Und als der Beginn dieses 383. Verhandlungstages kurzfristig auf den Nachmittag verschoben wird, ahnten viele schon, dass es genau so kommen würde.

Der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess, Manfred Götzl, erschien am Donnerstag gar nicht erst im Sitzungssaal A 101

Als nach einer weiteren halben Stunde Verzögerung anstelle des Vorsitzenden Richters ein Gerichtssprecher den Saal betritt, ist der Geräuschpegel auf der Tribüne bereits schon so hoch, dass es dem Beamten erst im zweiten Anlauf gelingt, sich Gehör zu verschaffen. Tatsächlich folgt die Mitteilung, dass E.s Verteidiger außerhalb des Gerichts einen  Befangenheitsantrag gestellt habe und die Hauptverhandlung deswegen nicht fortgesetzt werden könne. 

Nun muss zunächst über den Antrag entschieden werden. Wegen des Beratungsbedarfs wird auch der für kommenden Dienstag vorgesehene Verhandlungstag abgesetzt. Weitergehen soll es nun am 20. September. Ob dann das Plädoyer der Nebenkläger-Anwälte beginnen kann, ist keineswegs sicher. Zwar ist zu erwarten, dass der Befangenheitsantrag abgelehnt wird. Dann könnte es bald weiter gehen. Allerdings war auch schon aus dem Umfeld der Verteidiger von Beate Zschäpe und des Angeklagten Ralf Wohlleben zu hören, dass auch sie überlegten, einen Befangenheitsantrag zu stellen.

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Höchststrafe für Zschäpe?

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NSU-Prozess: Anklage fordert Höchsstrafe für Zschäpe

Diese Ungewissheit sorgt in Kreisen der Nebenkläger-Anwälte für Verärgerung. Einige von ihnen haben vor, während ihrer Plädoyers auch ihre Mandanten, Angehörige der NSU-Opfer zu Wort kommen zu lassen. Doch im Moment weiß niemand, ob sich deren Anreise aus verschiedenen deutschen Städten überhaupt lohnen würde. Denn jeder neue Antrag löst zwangsläufig einen Aufschub der Plädoyers aus.