“Harvey” – Die unbekannten Hurrikan-Folgen

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Geflutete Straßen und zerstörte Häuser sind die unmittelbaren Folgen von Harvey. Aber nicht nur wir Menschen leiden unter dem Hurrikan, auch unsere Natur muss einiges aushalten – dank der menschengemachten Katastrophe?

Highlands Acid Pit ist eine der von Harvey überfluteten Industriebrachen

Der Regen hat nachgelassen und in Texas beginnen die Aufräumarbeiten. Eine Schadensbilanz gibt es noch nicht. Bislang kursiert lediglich ein Schätzwert von 150 bis 180 Milliarden US-Dollar. Aber fest steht: Harvey hat einen deutlich höheren Schaden als Hurrikan Katrina verursacht, der 2005 in New Orleans im Südosten der USA mit 120 Milliarden US-Dollar zu Buche schlug.

Hurrikan hatte es in sich

Mindestens 45 Menschen hat der Tropensturm auf dem Gewissen. Zehntausende Menschen sind obdachlos, 185.000 Häuser wurden ganz oder teilweise beschädigt. Zeitweise standen nach Angaben der Behörden 70 Prozent der Region um Houston 45 Zentimeter oder mehr unter Wasser.

Bis zu 1317 Liter Wasser hat der Wirbelsturm pro Quadratmeter abgeladen, Wasser, das sich seinen Weg sucht, ohne Rücksicht darauf, was die Menschen dort gebaut haben – Wohnhäuser oder Fabriken.

Harveys neuester Coup

So hat die US-Umweltbehörde EPA jüngst bekannt gegeben, dass Harvey in Texas 13 schwer verseuchte ehemalige Industrieanlagen beschädigt oder überflutet hat. Luftaufnahmen hätten dies gezeigt, teilte die Behörde am Samstag mit. Bislang wurden zwei der sogenannten “Superfund sites” vor Ort inspiziert, alle anderen seien wegen des Hochwassers noch unzugänglich. Die Behörden schätzen, dass es zehn bis 15 Tage dauern wird, bis sich das Wasser zurückgezogen hat und weitere Untersuchungen möglich sind.

Bei den zwei besichtigten Anlagen, Falcon Refinery und Brine Service, bestehe bislang jedoch keine Notwendigkeit für Notfallmaßnahmen, so die EPA in einem Statement. Es werden aber weitere Proben veranlasst. Es besteht Sorge, dass durch Auswaschungen Giftstoffe und Schwermetalle in bislang unbelastete Flächen gelangt sein könnten. Der ganze Umfang der Folgen für die Umwelt sei noch nicht abzusehen.

Das Superfund-Programm sieht Aufräumarbeiten in mehr als 1300 schwer verseuchten Anlagen in den USA vor. Es wurde 1980 beschlossen. Kritiker werfen den Behörden vor, viel zu langsam voranzukommen.

Weitere Hurrikan Nachwehen 

Zuvor hatte der Tropensturm in der letzten Woche in einer Chemiefabrik zu Überschwemmungen geführt. In einem Werk des französische Petrochemie-Konzern Arkema in Crosby, nahe der texanischen Großstadt Houston, stand das Wasser teilweise zwei Meter hoch. Der Konzern stellt organische Peroxide her, die bei niedrigen Temperaturen gelagert werden müssen. Die Stoffe werden für die Herstellung von Plastik, Pharmaprodukten und Farben verwendet.

Aus Sicherheitsgründen ließen die Behörden die Chemiefabrik weiter ausbrennen

Nachdem die Stromversorgung zur Kühlung der Anlage ausgefallen war, erhitzten sich die Chemikalien – und explodierten.

Die Behörden forderten daraufhin alle Anwohner im Umkreis von drei Kilometern auf, sich in Sicherheit zu bringen. Arkema hatte zuvor mitgeteilt, man wolle das Feuer in der Anlage “von selbst ausbrennen lassen”. Ohne eine Verbrennung der Produkte könne nicht sichergestellt werden, dass “die Gefahr komplett beseitigt” sei. Die Chemikalien würden sich zersetzen, seien aber weiter entflammbar. Daher sei in Zusammenarbeit mit den Behörden beschlossen worden, die Chemikalien gezielt in Brand zu setzen. 

Wie gefährlich der Rauch für Menschen wirklich war, darüber machten die Behörden widersprüchliche Aussagen – von “nicht giftig” über “schädlich” bis hin zu “unglaublich gefährlich” – von den Folgen für die Umwelt ganz zu schweigen.

Beton- wird zur Wasserwüste

Ein grundsätzliches Problem, dass insbesondere Houston während Harvey einholte, ist seine monotone Bebauung. Das viele Wasser, das der Hurrikan mit sich brachte, hatte keine Chance abzufließen: Es gibt massig Beton, es fehlen Rasenflächen – jedenfalls für eine Stadt in dieser Größenordnung. Houston ist immerhin die viertgrößte Stadt der USA – nach New York City, Los Angeles und Chicago. Und die Stadtverwaltung hatte es lange zugelassen, dass sehr viel in Hochwassergebieten gebaut wurde.

Dazu kam, dass die Wasserreservoire nicht standgehalten haben. Ein Damm an den Columbia-Seen hat unter dem Druck der Wassermassen nachgegeben. Aus zwei anderen Wasserreservoiren mussten die Behörden Wasser in das sowieso schon überlastete Abwassersystem der Stadt ablassen.

“Houston wurde nicht nur überflutet. Es wurde mit vergiftetem Wasser überflutet”, sagte Brian Zabcik von der Umweltorganisation “Environment Texas” zu der Situation. “Jeder, der durch Flutwasser schwimmen musste, sollte bei Anzeichen für Krankheiten alarmiert sein, vor allem bei Magen- und Darmproblem.”

Hilfsmaßnahmen: Trinkwasser aus Bierdosen

Auch die EPA rät auf ihrer Webseitezu möglichst wenig direktem Kontakt mit dem Wasser, da es neben ungeklärtem Abwasser auch andere gefährliche Stoffe enthalten kann. Zudem soll Wasser vor dem Verzehr abgekocht werden. 

Brauerei-Konzerne lieferten als direkte Hilfe Dosen mit sauberem Trinkwasser nach Texas. Sie wurden vom Roten Kreuz an die betroffenen Einwohner in Notunterkünften verteilt. Die zweckentfremdeten Bierdosen sind Teil von Hilfsprogrammen. Mehrmals im Jahr unterbrechen die Brauereien ihre Produktion, um Trinkwasser abzufüllen und für den Ernstfall einzulagern. 

Weiteratmen, aber…

Auch die Luftqualität steht unter besonderer Beobachtung der EPA. Derzeitiger Stand trotz Hurrikan Harvey: Alles in Ordnung, die Messwerte befinden sich im Normbereich. Ein wirkliches Aufatmen bedeutet diese Ansage aber noch nicht. Denn die langfristigen Auswirkungen werden erst mit dem Rückgang des Wassers sichtbar. Dann wird sich zeigen, wie viel Mutter Natur wirklich verkraften konnte.