Kraftwerk-Drummer Karl Bartos: “Die Mensch-Maschine-Balance funktionierte”

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Die Band Kraftwerk war Pionier der elektronischen Musik. Karl Bartos hat ihre Hits wie “Das Model” und “Die Roboter” mitverantwortet. Im DW-Gespräch erzählt er vom allerersten Gig – und dem Ende durch “Versportlichung”.

Deutsche Welle: Herr Bartos, 1990 sind Sie im Streit bei Kraftwerk ausgestiegen, jetzt kommt Ihre Autobiografie. Was war Ihnen wichtig?

Karl Bartos: Schon bei George Orwell kann man lesen: Die Wirklichkeit spielt sich im Kopf ab. Das heißt, es gibt keine Objektivität. Wir hören aber seit 40 Jahren die gleiche Geschichte über Kraftwerk. Und ich denke, eine andere Perspektive kann nur nützlich sein. Ich habe mich bemüht, die Schöpfung unserer Musik zu erklären. Darüber zu berichten, wie kreative Gedanken zustande kommen.

Bevor Sie 1975 bei Kraftwerk einstiegen, haben Sie in Düsseldorf lange in ganz verschiedenen Bands gespielt. Wie war die Stimmung damals?

Ich empfinde das nachträglich als ziemliches Geschenk, die 60er und 70er Jahre erlebt zu haben. Die Musik der 60er Jahre hatte für meine Generation eine unglaubliche Kraft. Sie hatte die Botschaft, dass man nicht alles glauben soll, was man von den Autoritäten erzählt bekommt. Ich glaube, in dieser Zeit sprach die Jugend der ganzen Welt miteinander. Ohne Umweg über Autoritäten. Und das hat diese wirklich interessante Musik hervorgebracht.

Dann studierten Sie an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf Musik. Darüber kam auch der Kontakt zu Kraftwerk zustande, die einen klassischen Schlagzeuger für einen Live-Auftritt suchten.

Als mir mein Professor Ernst Göbler damals diese Information weiter reichte, war das nur einer von ganz vielen Gigs, die ich hatte. Es gab ja unglaublich viele Bands damals, unglaublich viele Möglichkeiten, live zu spielen. Der DJ war noch nicht erfunden. Wir haben uns bei dem Gig von Anfang an ganz gut verstanden. Man wusste aber nicht genau, wo das hinläuft. Es war nicht ausdefiniert, es war locker.

Karl Bartos bei einer Live-Performance in Kopenhagen 2007

Sie waren bei den Aufnahmen zum Album “Radio-Aktivität” dabei und haben ab dem Album “Trans Europa Express” auch an den Songs mit geschrieben. Wie wurde denn eigentlich bei Kraftwerk komponiert?

Im Kling Klang Studio hatten wir “Writing Sessions”, das heißt wir standen so in einem Kreis und improvisierten. Wie Jazzmusiker eigentlich. Das war die zweite Hälfte der 70er Jahre, da gab es keine Computer. Wir hatten einen Musikautomaten, der konnte 16 Töne wiederholen. Das war das einzige, was maschinell war in unserem Studio. Wir improvisierten, sahen uns dabei an, lachten uns kaputt und nahmen auf. Aus diesen Sessions entstand das Rohmaterial für unsere Kompositionen. Im Grunde genommen war das eine einzige Unterhaltung, die wir in die Musik transferierten. Daraus entstand eine polyphone Art der Komposition, eine Mehrstimmigkeit.

War es der Band denn eigentlich bewusst oder war es ein Thema, wie zukunftsweisend ihre Musik damals war?

Die Rezeption von Kraftwerk konnten wir nicht vorher sehen. Wenn wir am Sequenzer (elektronisches Gerät zur Aufnahme, Wiedergabe und Bearbeitung von Daten zur Erstellung von Musik, Anmerkung der Redaktion) standen und gedreht haben, war das im Grunde genommen die Fortsetzung der Musikautomaten, die wir seit der Aufklärung in Europa hatten. Die automatische Musik, die war ja immer schon interessant. Und mit den Mitteln der Elektronik wurde dieser Gedanke eigentlich fortgesetzt. Aber ich glaube in der zweiten Hälfte der 70er Jahre war bei uns das Entscheidende, dass die Mensch-Maschine-Balance wirklich funktionierte. Der Computer hat das verändert. Ich will nicht sagen, dass man mit dem Computer keine Interaktion hinkriegt, aber… wir machten auch ein paar gedankliche Fehler. 

Welche Fehler meinen Sie?

Wir haben versucht, den Gedanken der Improvisation auf die digitale Oberfläche zu transferieren. Und am Anfang machten wir den Fehler, dass wir Spuren vorproduzierten, und indem wir sie wahlweise ein- und ausschalteten, dachten wir, wir würden improvisieren. Aber das war natürlich keine Improvisation, sondern sozusagen eine Schein-Improvisation.

Das Albumcover von “Electric Cafe”, 1986

Dann lief es auch menschlich nicht mehr so gut. Ein Hobby, das Rennradfahren, wurde bei Teilen der Band in den 80er Jahren immer wichtiger.

Stellen Sie sich mal vor, sie fahren jetzt 200 Kilometer mit dem Fahrrad. Wozu sind sie dann noch in der Lage, wenn Sie zu Hause auf dem Stuhl sitzen? Der Puls geht auf unter 50, man hat überhaupt keine Wünsche mehr, man ist absolut glücklich. Wenn das über mehrere Jahre passiert, hat man einfach nicht mehr diesen Drive, Musik zu erfinden. Was in der zweiten Hälfte der 80er Jahre bei uns passiert ist? Rückblickend würde ich sagen: wir haben die Musik versportlicht. Sie wurde zu einer Art Wettbewerb. Uns fehlte die Rückbesinnung auf das, was unsere Kernkompetenz war: die autonome Fantasie. Sich eben nicht einem Wettbewerb hinzugeben, sondern in sich selbst rein zu hören.

Kann man auch ganz platt sagen: Die Melodien waren nicht mehr da?

Ich weiß, was Sie meinen aber für mich bleibt die passende Metapher die Mehrstimmigkeit und die Monophonie. Früher arbeiteten wir polyphon, wir entwickelten und erfanden unsere Musik zu dritt. Und dadurch wurde unsere Musik lebendig und mehrstimmig. Und in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, wurde es monoton. Es wurden einfach Reihungen von musikalischen Ereignissen. Es gibt einen Algorithmus in der elektronischen Musik oder auch in der Textverarbeitung: Copy-and-paste. Copy-and-paste ist nicht polyphon.

Nach dem Ausstieg bei Kraftwerk war Karl Bartos als Musiker, DJ, Musikproduzent und Songwriter tätig. In seiner Autobiografie (erscheint am 25.8. beim Eichborn Verlag) gibt er spannende Einblicke in das Innenleben von Kraftwerk, deren Musik die Entwicklung von Hip-Hop, Techno und Elektropop weltweit maßgeblich beeinflusst.

Das Gespräch führte Jens von Larcher.