Die Taufengel beim unvergesslichen Fest

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In der alten Dorfkirche von Rohrbeck werden bis heute Kinder getauft. Mit Hilfe eines Taufengels, der von der Kirchendecke herabgelassen wird. Welche menschliche Erfahrung sollen sie vermitteln?

Leben ist mehr als Atmen

Woran merken wir, dass wir lebendig sind? Was für eine Frage. Ist nicht alles lebendig, was atmet?

Aber so einfach ist es nicht. Zum einen, weil z.B. psychische Erkrankungen das Lebensgefühl verändern. Wer unter Depressionen leidet, ist kaum in der Lage, sich wirklich lebendig zu fühlen. Das, was Leben ausmacht: Fülle und Freude, liegt tief verborgen unter einem dichten Schleier.

Zum anderen ist auch Materie keineswegs tot. Verändern sich nicht auch Steine im Lauf der Jahrtausende? „Gott schläft im Stein, atmet in der Pflanze, träumt im Tier und erwacht im Menschen“, lautet eine indische Volksweisheit.

 

Leben ist also nicht unbedingt gebunden an den Vorgang des Atmens. Und schon gar nicht an den Vorgang des Denkens, wie es zu Zeiten der Aufklärung der Philosoph Descartes für sich in Anspruch genommen hat. „Ich denke, also bin ich!“ Als wären Babys, psychisch Kranke und alte Menschen Tieren ähnlicher als Menschen.

 

Frevler, Sünder und Spötter

Die Bibel umschreibt das Gefühl, lebendig zu sein mit einem Wort: „Selig“. In den sogenannten Seligpreisungen der Bergpredigt nennt Jesus die Armen, die Verfolgten, die Trauernden selig. Denn sie sollen wissen: Ihr Leben ist nicht vergebens, Gott kommt ihnen nahe. Das ist eine paradoxe Aussage, weil es augenscheinlich jeder Erfahrung widerspricht. Wo doch Trauer lähmt und sich das Dasein wie zerbrochen anfühlt. Weil Jesus aber genau die Menschen freundlich in den Blick nimmt, die sonst kaum eines Blickes gewürdigt werden, wecken seine Seligpreisungen in ihnen neue Hoffnung. Leben wird wieder spürbar.

 

Auch im sogenannten Alten Testament, der Hebräischen Bibel, werden Menschen „selig“ genannt. Im ersten Psalm heißt es:

 

                                               1

            Selig der Mensch,

            der nicht dem Rat der Frevler folgt,

            der nicht betritt den Weg der Sünder,

            der nicht sitzt im Kreis der Spötter.

                                               2

           Der vielmehr seine Lust hat an der Weisung des Herrn,

           der bei Tag und Nacht über seine Weisung nachsinnt.

                                               3

           Er gleicht dem Baum,

           der an Wasserbächen gepflanzt ist,

           der zur rechten Zeit seine Frucht bringt

           und dessen Blätter nicht welken.

           Was immer er tut,

           es wird ihm gelingen.

                                               4

           Nicht so die Frevler!

           Sie sind wie Spreu, die der Wind vor sich hertreibt.

                                               5

           Darum werden Frevler im Gericht nicht

           noch Sünder in der Gemeinde der Gerechten.

                                               6

          Denn der Herr weiß um den Weg der Gerechten,

          aber der Weg der Frevler verliert sich.

 

 

Siebenmal tauchen die Worte Frevler, Sünder, Spötter auf. Das ist kein Zufall, sondern bezeichnet das Böse, das in der Welt umfassend präsent ist. Aber der selige Mensch entzieht sich. Er widerspricht dem absoluten Anspruch des Bösen.

Wer sind nun Frevler, Spötter und Sünder? Menschen sind gemeint, die sich selbst zum Gesetz machen, die den eigenen Vorteil als allein gültigen Maßstab nehmen. Für die das Recht des Stärkeren gilt, einfach deshalb, weil sie die Macht haben, sich durchzusetzen. Solchen Lebensentwürfen spricht die Bibel jeden Bestand ab. Der Wind treibt sie vor sich her, weil der Halt, den sie suchen, trügerisch ist. Auch wenn es zunächst vielleicht anders aussieht.

Anders der Mensch, den die Bibel „selig“ nennt. Er lässt sich weder täuschen noch vereinnahmen. Er sinnt über die Weisung des Herrn. Übrigens nicht im Sinne von Nach-Denken, da wären wir wieder bei Descartes. Sondern mit allen Sinnen wird der selige Mensch gewahr, dass er für eine andere Lebensordnung bestimmt ist. Sein Lebensgefühl beschreibt der Psalmbeter mit einem Bild: Ein Baum – an Wasserbächen gepflanzt – er bringt Frucht zu seiner Zeit. Gut eingewurzelt, mit allem Lebensnotwendigen versorgt, kann er heranwachsen, dem Himmel entgegen.

Selig ist also der Mensch, der in diesem Vertrauen heranwächst. Maßstab ist dabei aber nicht die Stärke des Vertrauens. Wie sollte man als Leidtragender, als schuldlos Verfolgter nicht erschüttert werden und verzweifelt sein? Leben, lebendig sein, sich lebendig fühlen, ist für die Bibel ein Wachstumsprozess. Ein von Sehnsucht und Entdeckerfreude erfülltes Sein bis zum letzten Atemzug. Wofür hat Gott mich bestimmt?

Das Leben in seiner ganzen Fülle

Ein solches Lebensgefühl entwickelt man nicht allein. Dazu gehören andere, die „Gemeinde der Gerechten“, die auf Spurensuche ist: Wo leuchtet in der Welt, im Leben des Einzelnen der Himmel auf? Wie kann es gelingen, dem Licht Raum zu geben?

„Der Herr weiß um den Weg der Gerechten.“, damit endet der erste Psalm. Ein zärtlicher Satz. Denn „Wissen“ (Hebräisch: yada) bezeichnet in der Bibel die liebende Begegnung von Mann und Frau. Momente, die im ganzen Körper spürbar sind. Momente, wo Leben, Lieben und Loben eins werden. Momente also, wo das Leben in seiner ganzen Lust und Fülle Menschen ergreift.

 

Marianne Ludwig (Jg. 1958) ist seit 1. Sept. 2015 Polizeiseelsorgerin bei der Landespolizei Berlin und beim Zoll in Berlin und Brandenburg. Zuvor war sie 8 Jahre lang Seelsorgerin in der Bundespolizei. Sie studierte ev. Theologie und Judaistik in Berlin, Göttingen und Jerusalem. Sie wurde 1989 ordiniert und arbeitet seither überwiegend in der Spezialseelsorge (Ev. Familienbildungsstätte, Kinderklinik, allgem. Krankenhaus). 1997 schloss sie berufsbegleitend ein Studium der Erziehungswissenschaften in Berlin ab, 1997 – 1999 eine Ausbildung in Klinischer Seelsorge, 1999 – 2002 eine Ausbildung zur Supervisorin am Evang. Zentralinstitut für Familienberatung sowie im Jahr 2003 das Studienmodul Medizinethik (1) an der Fernuniversität Hagen. Marianne Ludwig ist verheiratet und hat drei Kinder.