Route 66 – ein Traum von Amerika

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Sie gilt als die Traumstraße der USA, der Weg ins gelobte Land Kalifornien und zu den Naturwundern der Nationalparks. Heute ist sie zur Attraktion für Nostalgiereisen geworden.

Der 26. November 1926 ist der Geburtstag eines uramerikanischen Mythos. An diesem Tag bekam die Route 66 ihre Straßennummer und war damit ganz offiziell die erste durchgehende Ost-West-Verbindung der USA. Über 3939 Kilometer schlängelte sich die zweispurige Straße von Chicago im Osten über Missouri, Kansas, Oklahoma, Texas, New Mexiko und Arziona bis nach Los Angeles an der Küste Kaliforniens.  

Nostalgisch: Diner an der Route 66 in Albuquerque, New Mexico

Niedergang und Wiederauferstehung

Mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen ging es mit der Route 66 bergab. In den 1980er Jahren wurde ein neuer Interstate Highway gebaut und die alte zweispurige Überlandstraße schien bald Geschichte zu sein. Samt ihrer kitschigen Motels, den Diners und Tankstellen, die ihren Look ausmachten.

Nach und nach wurden Teilstrecken stillgelegt. “Was einmal ein riesiger fast 4000 Kilometer langer Karnevalsumzug war, war nur noch ein Geisterzug. Ganze Städte verschwanden”, erklärt David Knudson, Gründer und Direktor der “National Historic Route 66 Federation”. Die Vereinigung setzt sich seit 1994 für den Erhalt der Route 66 als kulturelles Erbe Amerikas ein.

Mutter aller Straßen

Die Route 66 ist nicht nur in den USA ein Synomym für das ganz große Gefühl von Freiheit, sie verkörpert Aufbruchstimmung und Ungebundenheit. An diesem Mythos hat der amerikanische Schriftsteller und Nobelpreisträger John Steinbeck großen Anteil. Er setzte der staubigen Straße in seinem Roman “Früchte des Zorns” ein literarisches Denkmal. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit: In der Zeit der “Großen Depression” flüchten hunderttausende Farmer aus dem von Dürrekatastrophen geplagten Oklahoma. Sie folgen der Route 66 nach Westen, einem vermeintlich besseren Leben entgegen. Bei Steinbeck wird die Route 66 zur Straße der Hoffnung, zur “Mutter aller Straßen”.

Schnurstracks nach Westen: die Route 66 in Texas

Später, nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine andere Generation unterwegs, mit anderen Absichten: “to get their kicks on Route 66”. Der populäre Song von 1946 fängt ein Lebensgefühl ein, das Besucher bis heute erleben wollen – sich ins Auto schwingen und das Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit genießen. In Winslow, Arizona ist dem Lied sogar eine Gedenkstätte gewidmet. Das Road-Movie “Easy Rider” (1969) macht diesen Freiheitsdrang endgültig zum Kult. Egal ob mit einem Chevrolet, Mustang oder einer Harley – die Fahrt Ost nach West wird ein Lebenstraum, den sich viele USA-Besucher erfüllen wollen.

Der Mythos zieht noch immer

85 Prozent der alten Strecke sind heute noch befahrbar. Reisende lassen sich nicht davon abschrecken, dass es die Route 66 in ihrer kompletten Ausgabe nicht mehr gibt. Sie kennen sie aus Büchern, Filmen, Fernsehserien und Songs – und wollen das Gefühl der großen Freiheit selbst  erleben. “Sie wollen hier das alte Amerika erleben, ein Amerika, wo alles möglich war”, sagt Michael Wallis, Historiker und Autor von “Route 66: Die Mutter aller Straßen”. “Hier ruft immer noch das Abenteuer, nichts ist vorhersehbar”, fügt er hinzu. “Ich sage immer, jeder weiß, was man bei McDonald kriegt, aber niemand weiß, was man am Rande so einer alten, zweispurigen Straße wie der Route 66 bekommt. Man könnte in ein Café gehen, eine Imbissbude, zu einem Bäcker, in ein Diner – da gibt es noch echte Überraschungen.”

Stilecht reisen: in der Chevrolet Corvette

Aus China und Brasilien kommen die meisten Route 66-Touristen, erklärt Wallis. Gefolgt von den Europäern. Sie alle sind auf der Suche nach dem Abenteuer der endlosen Weite. 

“Ich habe Kunden, die sind 20 Jahre jung, andere sind 70 – sie alle sind fasziniert von der Route 66. Jeder sucht für seinen Trip nach einem stilechten Fahrzeug, einem Mustang Cabrio oder einer Harley Davidson”, sagt  Zsolt Nagy, der zweimal im Jahr Touren organisiert. Sie kosten 7000 Euro pro Person. “Man merkt, dass die Geschäfte hier wieder besser laufen. Die Straße ist in einem besseren Zustand, die Beschilderung ist besser – die Route 66 erwacht wieder zu neuem Leben”, sagt Zsolt. Vor zehn Jahren reiste der gebürtige Ungar zum ersten Mal auf dem Highway durch Amerika und war so begeistert, dass er blieb. “Ich glaube, der Mythos zieht immer mehr Leute an.”

Die Route 66 erweckt Städte zu neuem Leben

Bob Russel ist der Bürgermeister von Pontiac, zwei Autostunden südlich von Chicago. Seine kleine Stadt mit knapp 12.000 Einwohnern sei ein Paradebeispiel für das immer stärker werdende Interesse an dem legendären Road-Trip. “Bei uns hat sich unglaublich viel getan”, erzählt er begeistert. Die Stadt habe vier Museen, unter anderem ein Route 66 Museum mit historischen Erinnerungsstücken und 27 riesige Wandbilder, viele davon beziehen sich auf die berühmte Straße. Pontiac sei  eine der Perlen der Route 66. “Ich glaube Leute aus Übersee spüren hier eine ganz bestimmte Atmosphäre, denn die Route 66 bedeutet Freiheit, Fahren mit offenem Verdeck, die Haare vom Wind zerzaust und der Blick geht bis zum Horizont.”

Typisch: Neonreklame zeigt den Weg zu Motels und Diners

Am stärksten sind die Teilstücke in der Nähe von touristischen Attraktionen befahren. Wer heute auf der Route 66 unterwegs ist, entdeckt auch bei den weniger befahrenen Strecken frisch renovierte Motels mit leuchtenden Neonreklamen, neue Museen, viele skurrile Sehenswürdigkeiten und noch mehr Souvenirläden. Aber es gibt auch die verlassenen Ortschaften, die Geisterstädte, auch sie gehören zum Bild und haben ihren ganz eigenen Charme. Hier denkt man sofort wieder an John Steinbecks Roman “Früchte des Zorns” und sieht den langen Treck der Farmer förmlich vor sich. Man fühlt sich wie in einer Zeitmaschine.

Die große Freiheit – nur eine Illusion

Die Route 66 weckt nicht nur nostalgische Erinnerungen. Die Hälfte der 89 Orte entlang der Route 66 waren als “Sundown towns” bekannt, Städte in denen schwarze Amerikaner nach Einbruch der Dunkelheit Ausgangsverbot hatten. Eher zufällig fiel der Autorin Candacy Taylor bei der Recherche für ihren Reiseführer zur Route 66 ein Buch mit dem Titel “The Negro Motorist Green Book” in die Hände. Es führt sichere Orte entlang des  Highway auf. So erfuhr sie, dass der Ku Klux Klan Betreiber der bei Touristen sehr beliebten Fantastic Caverns in Springfield, Missouri war. Es ist die einzige befahrbare Höhle Nordamerikas. Im Höhleninneren hielt der Klan rituelle Kreuzverbrennungen ab.

Einer der wenigen Orte, wo Schwarze willkommen waren: die De Anza Motor Lodge in Albuquerque, New Mexico

“All diese Geschichten von der großen Freiheit und der unendlichen Weite sind die Geschichten der weißen Amerikaner – schwarze Amerikaner erzählen etwas anderes”, sagt Taylor. Sie ermutigt Leute sich nicht vom blinkenden Chrom der Chevrolets blenden zu lassen, sondern zu hinterfragen.

“Die Route 66 ist ein amerikanisches Icon, so wie Marilyn Monroe oder Elvis”, erklärt sie. “Aber sie ist nicht so perfekt, es gibt beachtlich viele Risse in der heilen Welt. Das heile Amerika der Route 66 ist nur eine Illusion.”

jz/ec/at  (AFP)