Das war das Jazzfest Bonn 2017!

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Drei verlängerte Wochenenden war die Bundesstadt Mekka der Jazzfans. Vom 12. bis zum 27. Mai gab es ein vielseitiges Programm mit vielen Überraschungen – und der einen oder anderen Herausforderung.

Als vor ein paar Monaten Festivalchef Peter Materna das neue Programm vorstellte, war schnell klar: Am starren Konzept der Gegenüberstellungen zweier sehr unterschiedlicher Acts an einem Konzertabend wird nicht gerüttelt. Fast nicht. Denn eine Ausnahme wurde im Vorfeld angekündigt: Jazz-Piano-Star Brad Mehldau spielte mit seinem Trio am 22. Mai alleine – ohne jemanden davor oder danach. Mehr zu diesem Konzert später.

Anspruchsvoller Auftakt

Die deutsche Schauspielerin und Sängerin Jasmin Tabatabai hatte am 12. Mai das Vergnügen, das Jazzfest 2017 im Telekom-Forum zu eröffnen. Die erfolgreiche Schauspielerin und ECHO-Jazz-Preisträgerin trat zusammen mit dem exzellenten Quartett des Schweizer Saxophonisten David Klein auf. Sympathisch und leicht angejazzt sang sie Lieder von Hildegard Knef, den Puhdys oder von Reinhard Mey und Georg Kreissler. Ihre kurzweilige Präsentation stimmte das Publikum mal nachdenklich mal löste sie freudiges Schmunzeln aus. Beeindruckend: Tabatabais Gespür für die richtige Auswahl der Songs und die wohltuende Einbettung ins Jazz-Idiom durch die Band von David Klein.

Mitreißendes Auftaktskonzert: Jasmin Tabatabai im Telekom-Forum

Nach rund einer halben Stunde Pause wurde es mit der “Jazzkantine” groovy und funky. Festival-Intendant Peter Materna betonte, dass es ihm wichtig sei, das Publikum nicht mit Hardcore-Jazz zu konfrontieren. Selbst wenn es experimenteller werde, müsse die Qualität der Musiker stimmen. Bestes Beispiel dafür sei die “Jazzkantine”. Die Band verwandelte das Telekom-Forum in eine ausgelassene Partyzone. Das Publikum feierte die Jazzkantine-typischen Abwandlungen ihrer Hits aus vergangenen Partyzeiten wie “Babas Delight” – im Original “Rapper’s Delight” von der unvergleichlichen Sugar Hill Gang aus dem Jahr 1979. Die absichtlich etwas prollig wirkenden Rapper lenkten beinahe davon ab, sich vom perfekten Groove der Band mitreißen zu lassen.

Gelebte Jazzgeschichte: Mike Mainieri

“Body and Soul”

Peter Materna wählte für den Einstieg ins Jazzfest Bonn 2017 mit den Konzerten von Tabatabai und der Jazzkantine ein Programm, das auch dem “ungeübten” Publikum die Gelegenheit bot, sich auf die vielen Schattierungen des Jazz allmählich einzustellen. Für all diejenigen, die bei einem Jazzfest vor allem Musik erwarten, die eindeutig dem Genre zuordnet werden kann, hatte der zweite Festivalabend einiges zu bieten: In der Aula der Universität Bonn stand die Jazz-Legende Mike Mainieri (78) am Vibraphon zusammen mit der Bigband des Westdeutschen Rundfunks (WDR) auf der Bühne. Mainieri und der Saxophonist Bob Mintzer, der neue Chef der WDR Bigband, kennen sich seit vielen Jahren. Gemeinsam begaben sie sich auf eine Reise in die lange Geschichte des Jazz mit Stücken von Django Reinhardt, John Coltrane, Dave Brubeck oder Toots Thielemans. Das Publikum war sich dieser besonderen Momente bewusst und dankte mit reichlich Applaus.

Auch Sängerin China Moses zog das Publikum an diesem Abend in ihren Bann. Nicht einfach nur deshalb, weil das Publikum wusste, dass sie die Tochter von Jazz-Diva Dee Dee Bridgewater ist. Nein, China Moses ist eine junge Musikerin mit einer unverwechselbaren Soul-Stimme und einem beeindruckenden Show-Gen. Sie macht ihren eigenen Weg. Und die Familienbande müssen dabei ja nicht gerade hinderlich sein. Dem Publikum in der Uni-Aula haben die Songs ihres neuen Albums jedenfalls gefallen.

Intergalaktische Klangwelten und irdischer Pop

Eine von mehreren musikalischen Gegenüberstellungen, die beim Publikum am 14. Mai in der Aula der Universität Bonn bestens ankam, waren die Konzerte von Niels Klein und Rebekka Bakken. Die norwegische Sängerin ist bekannt für die Vielseitigkeit ihrer Stimme. Im zweiten Konzert sang sie neue und alte Pop-Songs und demonstrierte die Kraft und Sinnlichkeit ihrer Blues-Stimme. Man konnte meinen, Tom Waits stünde auf einmal mit auf der Bühne.

Schwebende Klänge: Niels Klein mit “Tubes & Wires”

Vielleicht verstärkte sich dieser Eindruck auch durch die noch immer im Raum zu schweben scheinenden Klangwelten des vorangegangenen Konzerts mit Niels Klein und seinem Projekt “Tubes & Wires”. Sein Instrument sieht der Klarinettist und Saxophonist als “elektronische Blasorgel”. Genauer gesagt griff der Kölner Musiker ganz tief in die digitale Effekt-Kiste und zauberte mit seinem Keyboarder Lars Duppler überraschende, aber nicht völlig unbekannte Klänge, die manch reiferen Zuhörer an Science Fiction-Serien und -Filme aus längst vergangenen Zeiten erinnerten. Dank der hervorragenden Beschallungstechnik verformten sich diese Klänge niemals zu einem unerträglichen Brei. Alles blieb fein differenziert und die Strukturen sehr gut erkennbar. So etwas machte Lust auf noch mehr Überraschungen.

Experimentierwerkstatt, Clubsound und Stimmakrobatik

Das Christopher Dell Trio “DRA” trat am 19. Mai 2017 in der Bonner Brotfabrik auf. Der Vibraphonist Dell, der Bassist Christian Ramond und der Schlagzeuger Felix Astor boten mit ihren innovativen Forschungsarbeiten an Rhythmus und Harmonie viele Überraschungen. Danach gab es zum Entspannen Clubsound mit dem Saxophonisten Heiner Schmitz und seinem Projekt “Organic Underground”.

Als Beispiel dafür, dass sich der eine oder andere im Publikum die Musik eines Konzertes auch erarbeiten kann, war der nächste Abend mit dem US-amerikanischen Star-Gitarristen Kurt Rosenwinkel im Haus der Geschichte. Rosenwinkel schuf zusammen mit dem Gitarristen Tim Motzer und dem Drummer Gintas Janusonis faszinierende harmonische und rhythmische Spannungen. Dank der beeindruckenden Arbeit des Schlagzeugers entwickelten sich allmählich erkennbare Strukturen, was es dem Zuhörer leichter machte, sich auf die beiden virtuos spielenden Gitarristen einzulassen.

Witz und Esprit: “Hildegard lernt fliegen” aus der Schweiz

Dem gegenübergestellt wurde die Formation “Hildegard lernt fliegen” aus der Schweiz. Mit viel Witz und viel Esprit flogen dem Publikum unzählige Töne um und in die Ohren. Im Mittelpunkt stand der Sänger und Vokal-Künstler Andreas Schaerer. Er sang, scattete und imitierte Trompeten. Teilweise dachte man, er würde zwei Stimmen auf einmal einsetzen. Auch jeder einzelne Musiker der Band beeindruckte mit seinem Spiel zutiefst.

“Brad Mehldau Trio” wurde frenetisch im Bonner Opernhaus gefeiert

Der Erneuerer

Einer der vielen Höhepunkte des Jazzfests Bonn war in diesem Jahr sicherlich das ausverkaufte Konzerte mit dem “Erneuerer des klassischen Jazz-Klaviertrios” Brad Mehldau am 22. Mai im Opernhaus. “Ihm ist die Dramaturgie des Abends enorm wichtig”, erklärte Festivalleiter Materna. Deshalb habe er ihm Raum für ein Einzelkonzert in normaler Länge gegeben. Mehldau gilt als eigenwillig aber traditionell. Sein fein nuancierter Anschlag erst ermöglicht ihm ein derart hochsensibel angelegtes Spiel. Zusammen mit Larry Grenadier am Bass und Jeff Ballard am Schlagzeug schaffte der oft als Romantiker beschriebene Mehldau den Spagat, sein Publikum zu fordern und es gleichzeitig mit gewohnten Tönen zu verwöhnen.

Die beiden Abschluss-Konzerte am heutigen Abend (27. Mai) werden die Trommelfelle aufs Feinste stimulieren. Die Norwegische Bassistin und Sängerin Ellen Andrea Wang bietet klassischen Trio-Sound. Allerdings schickt sie ihre Stimme durch einen Vocoder – die Stimme wird also elektronisch verfremdet. Das zweite Finalkonzert spielt das Marius Neset Quartet. Die Süddeutsche Zeitung beschrieb das Saxophonspiel des 1986 geborenen Norwegers einmal als “Schritt in eine neue Dimension dieses Instrumentes”. Zwei Highlights am Abschlusstag des Jazzfestes.

11 dieser Kombinationen von jazzigen Gegenüberstellungen bot das diesjährige Jazzfest Bonn, überraschte und verwöhnte damit das Publikum. Die DW zeichnete sechs Konzerte für die Reihe “Jazz Live!” auf, die bald auf der Kulturseite in Ausschnitten zu hören sein werden und später auch als Podcasts abonniert werden können. Zwei Konzerte werden in der TV-Reihe “Europe in Concert” bei der DW zu sehen sein.