Peter Materna: “Jazz ist eine Lebenseinstellung”

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Im Gespräch mit der Deutschen Welle erklärt der Leiter des Jazzfests Bonn (12.-27.Mai 2017), warum das Festival weiter wachsen konnte – und warum es ein wachsendes Interesse an dem Genre gibt.

Deutsche Welle: Seit einigen Jahren sehe ich beim Jazzfest Bonn eine Wachstumstendenz oder zumindest eine zeitliche Ausdehnung.

Peter Materna: Nicht nur zeitlich, sondern auch, was die Kapazität betrifft: Wir haben jetzt 1000 Tickets mehr als im Vorjahr. Das Fest war immer zu 100 Prozent ausgelastet, das werden wir in diesem Jahr voraussichtlich auch schaffen. Mit der Bonner Oper haben wir auch eine neue Spielstätte. Das Jazzfest Bonn ist also gewachsen. Ich wollte es bewusst kleiner halten, damit es eine gewisse Exklusivität und die Nähe zu den Künstlern auch behält. Ein Saal mit mehr als 1000 Plätzen ist mit dem Nachteil verbunden, dass viele Besucher den Künstler gar nicht richtig sehen. Ich finde es schön, wenn man die Schweißperlen und das Lächeln wahrnehmen kann, und die Musik auch akustisch wahrnehmen kann. Das kann man in einem Opernhaus auch auf den hinteren Plätzen noch. Aber ab einer gewissen Größe hat die Musik einfach nicht mehr den Sinn, den sie haben könnte.

Gibt es ab einer gewissen Größe auch das Problem, dass Sie persönlich als prägender Veranstalter die Kontrolle über das Festival verlieren würden?

Ich hoffe nicht, dass das passiert! Mir liegt es sehr am Herzen, dass es eine gewisse heterogene Sichtweise und Vielfalt darstellt, um viele Menschen zu erreichen. Hier – in der Region Köln-Bonn – können wir uns sehr glücklich schätzen, dass wir hier so viele Menschen haben, die das annehmen. Für so eine “kleine” Stadt wie Bonn ist das schon bemerkenswert! Die Menschen, die hier arbeiten, sind durchaus sehr kulturaffin.

“Eine Frage der Finanzen”

Gibt es in dieser Nische, in der sich das Festival bewegt, auch Raum für Aktivitäten in Sachen Jazz außerhalb der Festivalzeit?

Ich glaube, dass ein Festival ganz gut funktioniert, wenn man sich auf eine gewisse Zeit fokussiert. Ein Spielplan, wie ihn ein Haus wie die Bonner Oper hat, ist mit den Mitteln, die wir haben, einfach nicht möglich. Es ist denkbar und durchaus wünschenswert, noch ein bisschen mehr hochklassigen Jazz außerhalb unserer Spielzeit zu haben. Am Ende ist es eine Frage der Finanzen. Wenn man aus der öffentlichen Hand finanziert ist – wie die Klassischen Formate – dann ist das natürlich leichter, als wenn man, wie wir, sich zum überwiegenden Teil über Sponsoren finanziert.

Hildegard Lernt Fliegen – so der Name der Band, die Peter Materna besonders am Herzen liegt

Erhalten Sie öffentliche Gelder?

Wir erhalten von der Stadt eine recht übersichtliche institutionelle Förderung und auch eine kleine Förderung vom Bundesland Nordrhein-Westfalen. Im Jazz ist es leider ganz anders als bei der Klassik, was die Förderung betrifft. Man kann sich darüber freuen, wenn man – wie wir – eine zehnprozentige Unterstützung von staatlicher Seite bekommt.

Wenn wir auf das diesjährige Programm schauen: Was bewegt Ihr Künstlerherz besonders?

Ich freue mich besonders auf “Hildegard Lernt Fliegen”, ein Konzert, das am 20. Mai im Haus der Geschichte stattfinden wird. Und natürlich auf unser Abschlusskonzert. Das regt mein Musikerherz als Saxophonist: Wir haben da jemanden zu Gast, der von der internationalen Bekanntheit her gerade durch die Decke geht. Und das, obwohl man in Amerika europäische Jazzer nicht so gern am Kuchen teilhaben lässt. Marius Nesset hat es aber geschafft. Er ist unser Gast-Saxophonist aus Norwegen, der unser Fest in diesem Jahr abschließen wird. Das ist mehr als hörenswert. Der sortiert mit seiner Musik und Virtuosität zwischendurch mal die Koordinaten neu.

Viele neue Jazzhörer

Wie ist der typische Jazzhörer? Können Sie uns einen persönlichen Steckbrief skizzieren? Wer geht zum Jazzfest Bonn?

Wir haben vor ein paar Jahren eine Umfrage gemacht, die uns stauen ließ: Die Beteiligung war rege, und mehr als 50 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass sie zum ersten Mal auf einem Jazz-Konzert waren. Mich hat es erstaunt! Die meisten davon hatten vorher nur Klassik gehört.

Seit Jahren tobt ein Gerichtsstreit im Popmusikbereich zwischen Kraftwerk und Moses Pelham. Es geht um zwei Sekunden “geklautes” Musikmaterial. Wäre so etwas im Jazzbereich vorstellbar?

Peter Materna: Im Jazz würde man sich wegen so etwas nicht in dieser Form streiten. Wir streiten uns aber auch über Urheberrechte, wenn sie nicht im Sinne der Improvisation eine Rolle spielen. Urheberrechte selbst sind natürlich schützenswert und haben ihren Sinn. Bei uns im Jazz ist jeder Ton schützenswert – aber in einem anderen Sinn.

Als Saxophonist ist Peter Materna auch selbst in der Jazz-Szene unterwegs und veröffentlicht seit 1989 regelmäßig Platten

Es ist natürlich nicht möglich, über einen Jazzmusiker zu schreiben, ohne sechs Namen zu nennen, von denen er “abgekupfert” hat, oder die ihn beeinflusst haben.

Wenn es nur sechs wären, wäre ich ja froh! Ich glaube, es wären eher 600. Das ist aber auch schön: Der Fundus, auf den man als Musiker zurückgreifen kann, ist so groß, und die Herausforderung, etwas Eigenständiges zu machen, nicht gerade klein. 

“Mit Easy Listening habe ich keine Probleme”

Die wenigen Jazz-Radiosender in den USA sind angehalten, zu bestimmten Tageszeiten eine gemäßigte, ruhige Hintergrundmusik zu spielen. Haben Sie auch ein Herz für diese Art des Jazz?

Die Offenheit, das Aufeinanderzugehen und Miteinander Kommunizieren – das ist eigentlich Jazz! Es ist nicht unbedingt nur eine Musik. Es ist eher eine Lebenseinstellung, eine Geisteshaltung. Wir sind offen für alles. Das bedeutet auch, dass man für kommerzielle Formate offen ist. Pop- und Rockmusik wären auch ohne diese Idee der Improvisation und des Austausches nicht möglich. Die formatübergreifenden Ideen finden sich auch in der Easy-Listening-Musik wieder. “Rockit” – der Hit von Herbie Hancock von 1983 – ernährt den guten Mann heute noch. Das ist völlig in Ordnung! Es erreicht die Menschen auf positive Weise und inspiriert sie – was will man mehr? Insofern habe ich mit Easy Listening im Jazzbereich keine Probleme.

Geht es soweit, dass Sie auch so etwas ins Programm des Festivals aufnehmen würden?

Wenn die Kreativ-Anteile nicht zu gering sind: Sehr gerne! Der Anspruch, dass da etwas ist, was die Persönlichkeit des Künstlers zeigt, ist mir sehr wichtig. Wenn das so eine Wischi-Waschi-Musik ist, wenn es austauschbar ist und man nicht mehr hört, wer es eigentlich spielt, dann wird es schwieriger.

Als Saxophonist ist der 1965 geborene Peter Materna selbst in der deutschen Jazzszene unterwegs. Er hat in Köln und Essen studiert und veröffentlicht seit 1989 Platten. Seit 2010 ist er der musikalische Leiter des Jazzfest Bonn. Mit seinem hochkarätigen Programm hat sich das Festival als feste Größe im Kulturleben der Bundesstadt etabliert. Vom 12. bis zum 27. Mai 2017 präsentiert das Jazzfest Bonn 23 Konzerte mit nationalen und internationalen Künstlern aus allen Spielarten des Jazz.

Die DW ist langjähriger Medienpartner des Festivals und zeichnet sechs Konzerte für die Audio-Podcast-Reihe “Jazz live!” auf. Zwei Konzerte werden in der TV-Reihe “Europe in Concert” zu sehen sein.

Das Gespräch führte Rick Fulker.