Wanzen auf Abwegen

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Interview

Wanzen auf Abwegen

Eigentlich ernähren sie sich von Pflanzen – jetzt aber soll eine Wanzenart vermehrt Menschen angreifen. Was steckt dahinter? Wir fragen den Biologen und Wanzenexperten Wolfgang Dorow.

Viele Wanzenarten bevorzugen Pflanzen – wie diese grüne Stinkwanze

Herr Dorow, es heißt, Pflanzensauger befallen plötzlich Menschen. Was genau ist passiert?

Wolfgang Dorow: Menschen im Raum Fulda sind von mehreren Tieren gestochen worden und hatten danach starke allergische Reaktionen. An einem Imbissstand soll eine Frau sogar 30 Stiche davongetragen haben. Man hat mir Exemplare dieser Insekten vorbeigebracht, und ich hab die Tiere letztes Wochenende bestimmt.

Und, was für Tiere sind das?

Es handelt sich um die Art Psallus varians. Es gibt dafür keinen gängigen deutschen Namen, obwohl sie mal jemand die vielfarbige Forstwanze genannt hat – aber der Begriff hat sich nie durchgesetzt. Der Name ist auch nicht gut, denn die Wanze ist nicht so wirklich farbenprächtig.

Eine Wanze also – und was für eine?

Die Art ist über ganz Europa verbreitet, selbst im Nordiran ist die nachgewiesen. Ich arbeite in hessischen Naturwaldreservaten, auch dort ist die Art sehr häufig. Vor allem im Mai und Juni ist sie dort massig vertreten. Sie lebt vor allem auf Buchen, kommt aber auch auf Eichen vor. Dort saugt sie eigentlich Baumpollen. Ältere Tiere saugen auch Blattläuseaus und vermutlich auch andere kleine weichhäutige Tiere und Insekteneier.

Das ist der Übeltäter – neben der Euromünze kaum zu sehen: Psallus varians

Also an Menschen haben sich diese Wanzen bisher noch nicht vergriffen?

Ich bin jedenfalls noch nie belästigt worden. Es ist aber bekannt, dass bestimmte Wanzen – auch Psallus-Arten -, die eigentlich nicht an Menschen und anderen Wirbeltieren saugen, hin und wieder mal einen Menschen stechen. Aber das war es dann auch. Der Stich rötet sich nicht mal. Es ist also erstaunlich, dass zum einen so viele Menschen gestochen wurden, als auch, dass so viele Leute stark allergisch reagiert haben.

Warum haben sich denn plötzlich so viele Wanzen vertan?

Das wissen wir nicht.

Haben Sie eine Vermutung?

Ja, aber keine stichhaltige. Es ist bekannt, dass Insekten oftmals vor einem Gewitter lästig werden. An der Küste treten dann schon mal massenhaft Marienkäfer auf, die einen auch zwicken können. Bei Gewitterfliegen scheint es so zu sein, dass sich vor einem Gewitter das elektrische Feld stark ändert und deshalb viele der kleinen Tiere nicht mehr fliegen können und Richtung Boden gehen.

Es ist außerdem bekannt, dass nach starken Regen und Unwettern viele Tieren aus den Baumkronen herabgeregnet werden oder freiwillig dorthin flüchten. Es könnte auch sein, dass die Blattläuse, die die Wanzen fressen – heruntergeregnet oder sogar vernichtet wurden – denn für viele kleine Insekten ist so ein großer Regentropfen ja ein Todesurteil. Das sind aber alles wilde Theorien. Vor allem weiß keiner, was die Wanzen dazu gebracht hat, plötzlich in großer Zahl die Leute anzustechen.

  • Nützliche Krabbeltiere

    Ohne sie geht nichts

    Sie futtern Blattläuse und Stechmücken, bestäuben Obstbäume und Gemüse und entsorgen sogar Abfälle. Und manche verlieren sogar ihren Schrecken, wenn man nur nah genug rangeht.

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    Fleißige Helfer

    Bekanntestes Beispiel für gute und nützliche Insekten ist die Biene. Sie produziert Honig und ohne ihre Bestäubungskünste würden Obstbäume und Gemüsepflanzen so gut wie keine Früchte tragen. Doch Bienen sind weltweit gefährdet. In manchen Regionen Chinas sogar schon ausgestorben. Schuld sind Pflanzenschutzmittel und eine Milbe.

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    Beliebter Vielfraß

    Marienkäfer sind besonders nützlich. Weltweit gibt es viele unterschiedlich gefärbte Varianten – von rot über braun bis gelb und schwarz. Auch die Zahl der Punkte variiert. Manche Käfer haben zwei, andere 24 Punkte. Sie fressen hauptsächlich lästige Blatt- und Schildläuse. Ein Käfer vertilgt um die 50 Läuse am Tag, in seinem ganzen Käferleben mehrere tausend.

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    Gefräßige Halbstarke

    Marienkäfer sind beliebte Helfer in der biologischen Schädlingsbekämpfung. Sie werden in großen Mengen auf Feldern oder in Gewächshäusern ausgesetzt. Ganz ohne Chemie schaffen es Landwirte so, sich schädliche Blatt- und Schildläuse vom Leib zu halten. Auch die – eher gruselig anmutenden – Larven sind fröhliche Lausvernichter.

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    Parade-Parasit

    Für Menschen sind Schlupfwespen völlig ungefährlich, für bestimmte schädliche Insekten endet das Zusammentreffen brutal tödlich: Schlupfwespen mögen es, ihren Riesenlegestachel in Motten, Käfer oder Läuse zu bohren. Dort legt das Weibchen ein Ei ab. Daraus schlüpft eine hungrige Babylarve und höhlt das Wirtstier von innen aus.

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    Beachtlicher Räuber

    Laufkäfer leben räuberisch und jagen vor allem Tiere, die wir gerne loswerden. Zum Beispiel Asseln, Raupen oder Schnecken. Sogar flinke und resistente Kartoffelkäfer haben gegen seine kräftigen Beißwerkzeuge keine Chance. Sie kommen überall auf der Welt vor, viele von ihnen stehen unter Naturschutz.

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    Dunkle Krabbler

    Das ist ein Käfer, auch wenn er auf den ersten Blick eher aussieht wie ein Wurm. Kurzflügler haben sehr kurze Flügeldecken, unter denen sich recht kompliziert gefaltete Hautflügel verstecken. Weltweit sind bislang rund 50.000 Arten bekannt. Die Tiere mögen Borkenkäfer und Fliegenmaden und vertilgen sogar verweste Tier- und Pflanzenreste.

  • Nützliche Krabbeltiere

    Friedliche Giganten

    Der Anblick einer Hornisse flößt Respekt ein, ihr Gift ist aber weniger gefährlich als das einer gewöhnlichen Wespe. Erwachsene Tiere schlürfen am liebsten Pflanzensäfte, doch die Brut wird mit allerlei Frischfleisch gefüttert: Bis zu einem halben Kilogramm Insekten erbeutet ein Hornissenvolk jeden Tag.

  • Nützliche Krabbeltiere

    Zu guter Letzt ….

    … die vielen, vielen Spinnen. Gehören mit ihren acht Beinen nicht zu den Insekten, sind aber sehr nützlich! Denn sie fangen und fressen in rauen Mengen alles, was uns lästig ist. Stechmücken, Motten, Fliegen und Blattläuse sind für sie Delikatessen. Gut so!

  • Nützliche Krabbeltiere

    Spinnen leben lassen

    Deswegen: nicht ekeln, nicht zertreten, nicht erschlagen, sondern freuen, wenn sie da sind!

    Autorin/Autor: Judith Hartl

Können die Pflanzenwanzen Blut denn überhaupt verwerten?

Wahrscheinlich nicht. Die saugen wahrscheinlich auch gar kein Blut, sondern nur Zellflüssigkeit. Oftmals heißt es, dass sie nur Feuchtigkeit aufnehmen wollen. All das beruht aber auf einzelnen Beobachtungen. Diese Tiere sind nie im Labor untersucht worden.

Sind die Stiche für den Menschen gefährlich?

Nur in dem Sinne, dass einige Betroffene allergisch reagiert haben. Eine Frau hat geschrieben, dass sie sogar einen Arzt aufsuchen musste. Aber es ist unwahrscheinlich, dass diese Wanzen Krankheiten übertragen.

Bettwanzen saugen gerne am Menschen

Tut der Stich denn weh?

Die Stiche sind schon unangenehmer als ein Mückenstich, denn die Arten sind nicht darauf ausgerichtet, so zu stechen, dass es man es nicht merkt, wie eine Mücke das macht. Wir sind ja ein Fehlwirt für die. Das ist dann wie ein Nadelstich.

Was ist mit anderen Wanzenarten, sind die gefährlich?

In den Tropen kann das vorkommen. In Mittel und Südamerika gibt es zum Beispiel die Chagas-Krankheit, die wird von Wanzen übertragen. Das sind aber andere Wanzen, große Raubwanzen, die leben in den Ritzen in den Hütten und kommen nachts raus. In Deutschland sind 891 Wanzenarten bekannt, nur fünf Wanzenarten saugen Blut von Wirbeltiere und nur eine Art vergreift sich am Menschen – nämlich die Bettwanze. Die ist aber extrem selten geworden. Alle anderen Arten ernähren sich von Pflanzensaft oder Insekten.

Wolfgang Dorow ist Biologe und seit 1985 am Senckenberg-Forschungsinstitut in Frankfurt am Main.

Das Gespräch führte Brigitte Osterath.