“Dschungel von Calais” wird weiter abgerissen

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Flüchtlinge

“Dschungel von Calais” wird weiter abgerissen

Die französischen Behörden hatten versprochen, das Flüchtlingslager würde langsam und vorsichtig geräumt. Nun geht alles im Schnellverfahren. Barbara Wesel berichtet aus Calais am Tag nach den Protestaktionen.

Der zweite Tag der Räumung in Calais verlief weitgehend friedlich. Ein massives Polizeiaufgebot schützte die Abrissarbeiten.

Ein paar verzweifelte Aktivisten waren auf die Dächer der Hütten gestiegen, die sie zu schützen hofften. Aber die französische Polizei war am zweiten Räumungstag mit ein paar Hundertschaften angetreten, und hatte die Protestierenden schnell herunter gezerrt. Einige der Helfer brachen in Tränen aus, als ihnen klar wurde, dass sie gegen die Staatsmacht nichts mehr ausrichten konnten. Manche von ihnen hatten Monate damit verbracht, die Hütten im Lager winterfest zu machen, Kleidung und Essen zu organisieren. Provisorische Schulen wurden gebaut, eine Moschee und eine Kirche. Jetzt müssen sie zusehen, wie ihre Arbeit innerhalb von ein paar Tagen zerschlagen wird.

“Wir wollen nicht, dass die Flüchtlinge hier mit der Polizei alleine sind”, sagt Sophie, die auch an diesem Tag herum ging und ungerührt Becher mit Bohnensuppe verteilte, während in ihrem Rücken die Abrissbagger fahren. Sie arbeitet für “La Vie”, eine Organisation die sich von Anfang an im sogenannten “Dschungel” von Calais engagiert hat. “Wir wissen nicht, ob unsere Gemeinschaftsküche bleibt, oder die Schule. Sie haben versprochen, dass sie nur die Hütten zerstören würden, wo keiner mehr wohnt. Aber man sieht ja, sie reißen alles auf einmal weg. Wir wissen überhaupt nicht was wird, das ist das Schlimmste für uns.” Die Flüchtlinge würden die Helfer fragen, wie es weitergehen soll und was sie tun könnten, aber Sophie kann auch keinen guten Rat mehr geben.

Nichts soll mehr auf dem Gelände stehen bleiben

Die Regierung in Paris will den Schandfleck loswerden

Innenminister Bernard Cazeneuve ließ während des Tages mitteilen, er bedauere die gewalttätigen Auseinandersetzungen vom Montag, bei denen mehrere Polizisten leicht verletzt wurden. Die Abrissarbeiten an dem Flüchtlingslager würden jetzt ohne weiteren Verzug fortgesetzt. Vor Ort ging die Räumung denn auch zügig voran: Hinter dem Schutz der Polizeipatrouillen schlugen Bauarbeiter die Hütten mit Brecheisen klein, dann kamen die Bagger und schaufelten alles in riesige Container. Matratzen, Schlafsäcke, Schuhe, Töpfe – alles was die Bewohner nicht morgens noch in Sicherheit gebracht hatten, wurde mit Bergen von zerbrochenen Latten und Plastikplanen weggeschafft. Eine Gruppe von Afghanen rollte eine leere Öltonne in einer Schubkarre davon. Sie brauchten sie später wieder als Feuerstelle. Andere standen ratlos herum und sahen der Zerstörung zu. Sie können sich vorläufig noch in den hinteren Teil des Lagers zurückziehen, der erst in ein paar Wochen geräumt werden soll. Der südliche Bereich aber, bis zu dem neu errichteten Containercamp, vielleicht einen Quadratkilometer groß und bislang dicht besiedelt, wird in wenigen Tagen leer sein.

Viele Flüchtlinge können der Räumung nur noch zusehen – Protest zwecklos

Was wird aus den Bewohnern des Dschungels?

“Die französische Regierung zerstört hier eine Gemeinschaft von Leuten, die hier leben mussten, weil die Polizei sie im vorigen Jahr von anderen Plätzen in Calais vertrieben hatte. So ist der Dschungel schließlich entstanden, weil die Behörden alle Flüchtlinge an einem Ort haben wollten”, erklärt Benediktinermönch Johannes Martens, der vor einem Monat als geistlicher Beistand von Belgien nach Calais gekommen ist. Er berichtet von einem jungen Eritreer, der über Libyen und Italien nach Calais gekommen war. Der Mann endete schließlich im Dschungel und ist jetzt verzweifelt, weiß nicht mehr weiter. Fälle wie seinen gibt es hier hunderte. Viele Afghanen und hunderte Sudanesen aus dem umkämpften Süden des Landes sind hier gestrandet. Alle hatten den Traum von einer leichten Überfahrt nach Großbritannien. Aber seit der Hafen und der Eurostar eingezäunt und gesichert sind, gibt es kaum noch eine Chance, die britische Insel illegal zu erreichen. Viele, die im Dschungel von Calais zurück geblieben sind, sehen keine Alternative mehr für eine weitere Flucht. Hier sind so viele traumatisierte junge Menschen, erzählt der Benediktiner weiter, was ich immer wieder höre ist: “Mein Leben hat keinen Wert mehr.”

Die Regierung hat ihr Wort gebrochen

“In der vorigen Woche haben sie versprochen, sie würden die Leute überzeugen, umzuziehen und sie nicht mit Gewalt vertreiben”, empört sich Bernard Schriek von der Hilfsorganisation Secours Catholique. “Aber sie haben ihr Wort gebrochen.” Die meisten Flüchtlinge versuchten weiter, zu ihren Verwandten nach Großbritannien zu kommen. Andere hätten sogar eine Aufenthaltsgenehmigung oder es gebe einen Asylantrag in Frankreich. Aber das Land habe ihnen keinen Wohnort angeboten, wo sie sich in die Gesellschaft integrieren könnten. Viele sind inzwischen an der Küste weiter gezogen in Richtung Belgien, die Behörden dort haben schon rund 600 Flüchtlinge aufgegriffen. “Das Problem verlagert sich einfach nur in andere Orte wie Grand Synthe oder Norrrent-Fontes”, sagt Bernard Schriek. Dort würden dann neue Lager entstehen, nur dass die Bedingungen dort noch schlechter seien als zuletzt im Dschungel.

Was die Räumung offenbart – absolute Perspektivlosigkeit

Am Ende des Weges

Eine Gruppe von Sudanesen hockt an ihrer Feuerstelle. Wind und Regen fegen über das Camp. Nachdem die Nachbarhütten schon weggerissen wurden, liegt ihre Behausung offen im Sturm. Sie haben noch eine Gnadenfrist von einer Nacht, am nächsten Tag werden die Bagger auch sie erreichen. Was wollen sie tun? “Ich bleibe hier in Calais, notfalls muss ich auf der Straße schlafen”, sagt Muhammed. “Ich gehe hier nicht weg, ich will nach England.” Warum nicht einfach in Frankreich Asyl beantragen, schließlich wird auch von dort niemand in den Süd-Sudan abgeschoben? “Wir vertrauen den Behörden nicht, sie haben uns nicht menschlich behandelt”, klagt er. Und seine Freunde sehen das ähnlich: Frankreich sei schlecht, alle wollen weg. Nur hat keiner einen Plan wohin. Deutschland, Belgien, oder zurück nach Italien? Die Sudanesen schütteln die Köpfe. “Ich bin am Ende meines Weges”, sagt Muhammed noch zum Abschied.