“Freiheit der Seefahrt muss diskutiert werden”

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China

“Freiheit der Seefahrt muss diskutiert werden”

Im Interesse aller Beteiligten müsse die freie Schifffahrt im Südchinesischen Meer auf den Prüfstand, fordert Peter Kreuzer im Interview mit der DW. Die verschiedenen Ebenen des Konflikts müssten klar getrennt werden.

Bei den Auseinandersetzungen im Südchinesischen Meer handelt es sich auf den ersten Blick um die Durchsetzung der
Territorialansprüche der Anrainerstaaten. Im Hintergrund geht es aber um viel mehr. Es ist ein Kräftemessen zwischen der alten Supermacht USA und der aufstrebenden Supermacht Volksrepublik China. Ein wichtiger Teil der Auseinandersetzung betrifft die internationale Ordnung, insbesondere das
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, kurz: UNCLOS). Es regelt die Rechte und Pflichten von Staaten in Hinsicht auf die Weltmeere. UNCLOS trat 1994 in Kraft. Doch das Abkommen hat keineswegs alle Unklarheiten beseitigt. China hat UNCLOS 1996 ratifiziert, während die USA bis heute nicht unterzeichnet haben.

Deutsche Welle: Worum geht es Ihrer Ansicht nach im Kern bei den Auseinandersetzungen im Südchinesischen Meer, wenn wir die Positionen der Volksrepublik China und der USA in den Blick nehmen?

Peter Kreuzer: Diesen beiden Mächten geht es weniger um die Territorialstreitigkeiten als vielmehr um die Frage, welche Rechte fremde Kriegsschiffe in den verschiedenen Meeresregionen vor fremden Küsten haben sollen.

Die USA formulieren das generell als “Freiheit der Schifffahrt” und versuchen so, eine größtmögliche Allianz zusammenzubekommen. Schlicht und ergreifend deshalb, weil alle Länder dieser Welt natürlich ein großes Interesse an der Freiheit der kommerziellen Schifffahrt haben.

Im Hintergrund steht aber die Frage, welche Rechte militärische Schiffe in Küstennähe von fremden Staaten haben sollen. Und da gehen die Interpretationen des internationalen Seerechts von den USA und China auseinander. China argumentiert, dass vor den Küsten gewisse Schutzrechte für die jeweiligen Küstenstaaten gegenüber fremden Staaten existieren müssen, die dort mit ihren “Kanonenbooten” eventuell operieren können. Die USA argumentieren demgegenüber, dass solche Rechte nur in den Territorialgewässern gültig sein können.

Peter Kreuzer vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Warum ist China so zögerlich, wenn es darum geht, seine Position international zu vertreten?

Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, das hat mit der Geschichte des Konflikts zu tun, aber auch mit der Wahrnehmung der Auseinandersetzung mit den USA in China. In China wird der Konflikt als Auseinandersetzung zwischen zwei Supermächten aufgefasst, und zwar als die zwischen der alten und einer neuen. Und in dieser Auseinandersetzung wird internationalen Foren von chinesischer Seite wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Ein weiterer Grund ist, dass die verschiedenen Dimensionen des Konflikts im Südchinesischen Meer als zusammenhängend und selten getrennt betrachtet werden. Der Territorialkonflikt mit den Nachbarstaaten müsste eigentlich unterschieden werden von den Auseinandersetzungen über maritime Rechte. Im ersten Fall geht es vor allem um das Völkergewohnheitsrecht, im zweiten Fall wäre es das Seerecht. Und davon wäre schließlich noch die Frage nach der Freiheit der Schifffahrt zu trennen, denn es betrifft die internationale Gemeinschaft über die Region hinaus. Sowohl bei China als auch bei den USA fehlt diese Trennung.

Ist der Hintergrund für die Position Chinas nicht vielleicht der, dass China die herrschende internationale Ordnung ablehnt, weil diese vom Westen, insbesondere von den USA, dominiert wird?

China lehnt die internationale Ordnung natürlich nicht ab. In fast allen Fällen arbeitet China im Rahmen der internationalen Ordnung. Es hat allerdings einen starken Fokus auf UN-basierten Regelungen. Das heißt, dass die im Westen so prominent gewordene “Koalition der Willigen”, wie es sie in Libyen, Syrien oder vorher in Afghanistan gegeben hat, von China extrem kritisch gesehen wird. Von daher wäre es aus chinesischer Sicht durchaus sinnvoll, ja sogar notwendig, in internationale Verhandlungen einzutreten. Das Problem ist nun, dass der Konflikt mit den USA zu sehr als Supermächtekonflikt wahrgenommen und dabei die internationale Perspektive ausgeblendet wird.

Das Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen definiert verschiedene Meereszonen

Was sind denn die Vorstellungen Chinas bezüglich einer Neuregelung der verschiedenen Meereszonen?

Es geht in der Zwölfmeilenzone um die Frage der freien Durchfahrt für militärische Schiffe. Das will China gar nicht bestreiten. Aber China fordert eine Kontrollmöglichkeit des jeweiligen Küstenstaates darüber, wann, wo und wie fremde Militärschiffe fahren. Das geht über das hinaus, was im kodifizierten Seerecht gilt. Da ist China in einer Reihe mit anderen Staaten, beispielsweise Brasilien, Pakistan oder Indien. Allerdings sind diese international gesehen in einer Minderheit.

Wenn es um die exklusive Wirtschaftszone geht, geht es um die alte Frage, ob diese eine Schutzfunktion haben sollte, was die großen Seemächte ablehnen. Sie sagen: Nein, wir brauchen diese Option auf Operationen vor fremden Küsten, um Ordnung international durchzusetzen. Das heißt natürlich, eine bestimmte Ordnung durchzusetzen, die im Interesse dieser Großmächte ist. Und das ist das, wogegen China sich wendet.

Wenn man diesen Fragekomplex der Zonen vom Territorialstreit im Südchinesischen Meer abkoppelt und international verhandelt, würde das vorderhand erst mal keine Lösung für den Konflikt um Souveränität und maritime Rechte bieten. Denn dort geht es ja darum, wie weit die Ansprüche etwa Vietnams reichen und wo sie sich mit chinesischen Ansprüchen überschneiden. Diese Fragen lassen sich damit nicht lösen.

Allerdings ist zu vermuten, dass in dem Moment, in dem man kooperativ im allgemeinen Gremium arbeitet, sich auch Übergangslösungen für konkrete Fragestellungen im Südchinesischen Meer entwickeln lassen.

Die Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer, markiert durch die sogenannten Neun-Strich-Linie

Wo sehen Sie Chancen, dass dieser alternative Ansatz sich auf die internationale Agenda bringen lässt?

Hier sind mehrere Akteure denkbar. Zum einen ist es denkbar, dass eine ganze Reihe von ASEAN-Staaten die Position der USA, der Philippinen und Vietnam nicht mehr mitträgt, was die gemeinsame Erklärung der USA mit den ASEAN-Staaten gezeigt hat. Es sind vor allem diese drei Länder, die den Konflikt um territoriale Souveränität internationalisieren wollen, und zwar sehr stark im Sinn einer Gemeinschaft der Guten, die gegen ein rauhbeiniges China vorgeht, das sich nicht an internationales Recht hält.

Wenn aber die Frage nach der Freiheit der Schifffahrt von den Territorialstreitigkeiten entkoppelt würde, könnten die südostasiatsichen Staaten, die dahingehend ähnlich denken wie China, durchaus ein Interesse daran haben, diese Thematik auf die internationale Agenda zu bringen. Das ist allerdings kompliziert, da ASEAN ein Kollektivorgan ist, und daher müssten auch Staaten wie die Philippinen und Vietnam in gewissem Maß mitziehen.

Eine andere Chance bietet sich durch Europa oder auch Deutschland, die akzeptieren, dass bestimmte Bereiche im internationalen Seerecht noch umstritten oder unklar sind, obwohl sie inhaltlich nicht die chinesische Position teilen. Dennoch sollten Europa und Deutschland aufgrund der Streitigkeiten und der Zündkraft der Konflikte, bereit sein, in Neuverhandlungen einzutreten oder zumindest eine Diskussion in diese Richtung anzustoßen.

Der Politologe und Sinologe Peter Kreuzer ist Vorstandsmitglied und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.