Sierens China: Gedopt zum Weltrekord

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Asien

Sierens China: Gedopt zum Weltrekord

Nach zwanzig Jahren stellte sich heraus, dass Chinas ehemalige Langstreckenläuferin Wang Junxia gedopt war. Im Weltleichtathletikverband hat man jedoch kaum Zeit, sich darum zu kümmern, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

Ex-Olympiasiegerin Wang Junxia

Hartes Training, getrocknete Seepferdchen in Pulverform und Schildkrötenblut – das waren laut Trainer Ma Junren die Geheimnisse hinter den Weltrekorden der chinesischen Starläuferin Wang Junxia. 1993 lief Wang bei der WM in Stuttgart nicht nur auf 10.000 Metern, sondern auch auf 3000 Metern Weltrekord. Schon damals war dieser Rekord aus dem Nichts verdächtig. Nun taucht ein über zwanzig Jahre alter Brief auf, in dem Wang beklagt: Ich wurde zum Doping gezwungen. Sie und andere Läuferinnen seien von ihrem Trainer Ma dazu gezwungen worden, große Mengen an illegalen Substanzen einzunehmen, heißt es in dem Schreiben.

Ma war schon damals berüchtigt für sein hartes Durchgreifen. Die chinesischen Läuferinnen, die Mas Pillen einfach weggeworfen hatten, habe er nicht nur geschlagen, sondern ihnen die Dopingsubstanzen unter Zwang sogar selbst injiziert. “Wir sind Menschen und keine Tiere”, heißt es in dem Brief. Die Athletinnen zeigten sich zudem besorgt, mit dem Doping dem Ruf ihres Landes zu schaden. Der Weltverband für Leichtathletik (IAAF) kündigte nun an, gemeinsam mit Chinas Verband den Brief auf seine Echtheit prüfen zu wollen.

Chinesische Sportler: schuldbewusst

Damit hat China einen Dopingskandal, der dem des “Team Telekom” im deutschen Radsport der 1990er Jahren gleichkommt. Allerdings mit drei Unterschieden: Anders als Wang und ihre Kolleginnen fühlte sich in Deutschland damals kein Radler von seinem Gewissen so gequält, dass er sich seine Sorgen in Form eines Briefes von der Seele schreiben musste – mit dem Risiko, dass der Brief eines Tages auffliegt, und Staat und Partei sich ärgern. Vielmehr räumten alle Fahrer ihre Fehler erst auf äußeren Druck und auch erst ein Jahrzehnt später ein. Anders als bei den chinesischen Sportlerinnen ist im Westen Deutschlands kein Fall bekannt, in dem ein Sportler zum Doping gezwungen wurde. Und anders als in China spielte der Staat keine Rolle bei den Dopingfällen.

DW-Kolumnist Frank Sieren

Das Interessante an diesem Brief ist jedoch, das Wissen der Sportlerinnen, dass es falsch ist zu dopen. Von dem Amerikaner Lance Armstrong, dem deutschen Jan Ullrich oder dem Dänen Bjarne Riis gibt es solche Äußerungen nicht. Die Reue setzte erst ein, als die Taten aufflogen. “Ich bereue es zutiefst”, sagte Riis erst im Herbst 2015. Dabei hatte er schon 1996 gedopt den Tour de France-Sieg für das Team Telekom geholt. Auch der Radsportverband UCI ging mit seinem Verhalten relativ entspannt um. Er erkannte ihm den Titel jedoch nicht ab, weil Doping schon nach acht Jahren verjährt.

Weitere Weltrekorde zweifelhaft

Auch der Weltleichtathletikverband IAAF wird das Geständnis von Wang nicht nutzen, um reinen Tisch zu machen. Denn das ginge nur, wenn man auch vor der eigenen Haustüre kehrte. Die Amerikanerin Florence Griffith-Joyner hält seit 1988 den bis heute geltenden Weltrekord über 100 Meter der Frauen. Auch sie stand unter Dopingverdacht. Zehn Jahre später erstickte sie mit nur 38 Jahren bei einem epileptischen Anfall. Es konnte nie geklärt werden, ob Steroide als Todesursache mit im Spiel waren.

Schon zur Jahrtausendwende machte daher der damalige deutsche IAAF-Vizepräsident einen klugen Vorschlag: Man solle alle mutmaßlich vergifteten Bestmarken als Jahrhundertrekorde ad acta legen und im Jahr 2000 neu starten. Aber die Amerikaner waren dagegen, hätte das doch deren Medaillenstatistik empfindlich beeinträchtigt. Es ist schon erstaunlich, dass dieser kluge Vorschlag sich nicht durchgesetzt hat. Offensichtlich war das schon zu viel Schuldeingeständnis. Inzwischen ist der Verband in seinem eigenen Sumpf so versackt, dass man in Monaco kaum Zeit hat, sich mit dem Fall in China zu beschäftigen. Neben Adidas, will auch der Lebensmittelkonzern Nestlé aufgrund von Korruptionsvorwürfen beim IAAF sich als Sponsor zurückziehen.

China ein Fall von vielen

Schwer unter Druck steht seit dieser Woche Papa Diack, trotz des Vornamens der Sohn von Lamine Diack, der von 1999 bis 2015 IAAF-Präsident war. Beiden wird inzwischen Erpressung vorgeworfen. So sollen sie Sportlern angeboten haben, gegen Zahlung positive Tests verschwinden zu lassen. Sein Sohn, also Papa, wird gegenwärtig von Interpol gesucht. Wenn interessierte Kreise in Peking ein Interesse daran haben, reinen Tisch zu machen, indem sie die Veröffentlichung des Briefes zulassen, dann war das Timing perfekt. Die Hütte brennt so sehr, dass niemand sich um die kleine Flamme in China kümmern kann.

Unser Korrespondent Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.