Es gibt mehr als eine Balkanroute

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Flüchtlinge

Es gibt mehr als eine Balkanroute

Die Visegrád-Staaten wollen Mazedonien bei der Schließung der Grenze zu Griechenland helfen. Alternative Fluchtrouten über den Balkan existieren bereits: Eine schwere Entscheidung für Flüchtlinge.

Die meisten Flüchtlinge erreichen Europa derzeit über die Balkanroute. Doch immer mehr EU-Staaten möchten den Zuzug stärker kanalisieren oder sogar stoppen. Eine informelle “Koalition der Willigen” diskutiert seit Sommer 2015 den Plan, Flüchtlinge direkt aus der Türkei auf die EU-Mitgliedsstaaten umzuverteilen. Derzeit beraten Deutschland, Belgien, Finnland, Griechenland, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Schweden, Portugal, Slowenien und Frankreich darüber.

Auf Grenzschließungen setzt dagegen die sogenannte Visegrád-Gruppe: Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei setzen sich dafür ein, die Grenze zwischen Griechenland und den Balkanstaaten abzuriegeln. Sie wollen die betroffenen Balkanstaaten mit Personal unterstützen.

Trotz der Kälte und des unruhigen Meeres sind in diesem Jahr schon fast 80.000 Menschen aus der Türkei auf die griechischen Inseln übergesetzt. Wenn der Frühling kommt, dürfte diese Zahl wieder ansteigen – in Spitzenzeiten im vergangenen Oktober und November waren es 10.000 Menschen am Tag. Wohin werden sie ausweichen, wenn Mazedonien seine südliche Grenze abriegelt und so die meist genutzte Route sperrt?

Die Hauptroute durch Mazedonien

Zurzeit stellt Mazedonien seinen Grenzzaun zu Griechenland fertig: Doppelreihig, messerscharf, etwa 2,5 Meter hoch – ein Geschenk aus Ungarn, das mit Zäunen schon viel Erfahrung hat. Es sollen 37 Kilometer im Tal des Vardar-Flusses geschlossen werden, heißt es aus Skopje, dies sei der “kritische Bereich”. Dabei setzt man auch auf die Natur, denn weiter östlich und westlich wird das Terrain zunehmend schwer passierbar, die karstigen Berge und großen Seen erschweren den Grenzübertritt. Dort patrouillieren zudem die Grenzschützer der Visegrád-Länder zusammen mit mazedonischen Kollegen.

Seit November werden auf der Balkanroute nur noch Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan durchgelassen. Sie gelten als Kriegsflüchtlinge. Viele andere – hauptsächlich Nordafrikaner aus den Maghreb-Staaten – versuchen, die mazedonischen Grenzer mit gefälschten Reisepapieren zu täuschen oder die grüne Grenze illegal zu überqueren, teilweise mit Hilfe von
bezahlten Schleppern.

Aber auch die “zugelassenen” Flüchtlinge müssen immer länger
an griechischen Tankstellen und in Camps ausharren – Mazedonien lässt maximal 2.000 Flüchtlinge pro Tag durch. Das Ende Januar eingeführte Stop-and-Go wird meist mit “begrenzten Aufnahme- und Transportkapazitäten” der nächsten Länder auf der Route begründet: Serbien, Kroatien und Slowenien.

Die Route über Bulgarien

Etwa neun Prozent der Durchreisenden in Serbien kamen im vergangenen Sommer nicht aus Mazedonien, sondern aus Bulgarien. Das berichtete die serbische Zeitung Večernje novosti unter Berufung auf das Hilfszentrum für Asylsuchende, eine Belgrader Nichtregierungsorganisation. Hochgerechnet würde das bedeuten: Zehntausende sind bereits über Bulgarien gen Westeuropa gezogen.

Bei einem Blick auf die Karte wirkt diese Route einladend: Bulgarien und die Türkei teilen eine 240 Kilometer lange Landgrenze, die von der bulgarischen Seite derzeit nur teilweise mit einem Zaun geschlossen ist. Der Weg über Istanbul und die türkische Grenzstadt Edirne erspart den Migranten auch die lebensgefährliche Reise über die Ägäis, sowie etwa 1200 Dollar, die dafür bei Schleppern zu zahlen wären.

Doch bei Sachkundigen gilt die Route als problematisch. Längst hat sich
die Brutalität herumgesprochen, mit der bulgarische Polizisten den Flüchtlingen begegnen. Kritik an diesen Vorfällen kommt von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl. In einigen Internet-Ratgebern für Flüchtlinge belegt Bulgarien Platz 1 der Liste der Länder, die man meiden sollte.

Auch DW-Reporter haben mehrere Flüchtlingen getroffen, die von Prügeln, Demütigungen und Raub durch bulgarische Sicherheitskräfte berichteten. Im Oktober
erschoss ein Polizist einen afghanischen Flüchtling an der Grenze zur Türkei. Schlepper versuchen hier, die Polizei zu schmieren, um Flüchtlinge ins Land zu bringen. Im November schrieb das Wall Street Journal, täglich würden 500 Menschen nach Serbien geschleust. Der Preis: Umgerechnet bis zu 2.700 Euro.

Die Ostbalkanroute

Rumänien hat bisher wesentlich weniger Flüchtlinge gesehen als seine Nachbarländer, dafür aber umso kreativere Wege des illegalen Grenzübertritts. Im Januar wurden 60 Menschen aus Pakistan, dem Irak, Marokko, Afghanistan und Somalia festgenommen, als sie aus Serbien kommend – mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet – die Grenze überquerten. Seit dem vergangenen Juni wurden Hunderte Migranten aufgegriffen, die aus Bulgarien über die beiden großen Donaubrücken oder – seltener – mit Booten einreisen wollten.

2014 gab es zwei Versuche, über das Schwarze Meer direkt aus der Türkei nach Rumänien zu gelangen. In der letzten Zeit melden die Behörden auch immer mehr Flüchtlinge, die aus der Ukraine und der Republik Moldau anreisen – meist Afghanen, die Zentralasien als Transitstrecke wählen. Das nächste Etappenziel der Flüchtlinge wäre Ungarn.

Doch Budapest möchte dieser Route ein Ende setzen und hat mehrfach angekündigt, einen Grenzzaun zu Rumänien aufzustellen. Es wäre das größte Bauunternehmen dieser Art, das die Regierung von Viktor Orbán in Auftrag gibt. Denn mit 443 Kilometern (km) ist die Grenze zu Rumänien wesentlich länger als die zuvor abgeriegelte zu Serbien (151 km) und Kroatien (329 km).

Flüchtlinge tauschen sich längst über Alternativrouten aus

Die Adriaroute

“Neue Routen über Albanien sind schon eröffnet. Von dort soll es weiter über Montenegro und Kroatien gehen, was wir vereiteln wollen.” Das sagte Ende Januar Ranko Ostojić, der scheidende Innenminister Kroatiens. Damit war er der erste Offizielle, der die Adriaroute erwähnte. Bis dahin hatte es eher Spekulationen gegeben: “Im Winter erwarten wir eine neue Richtung, es wird über den Mittelmeerraum und Montenegro gehen”, prophezeite im September etwa der kroatische Migrationsexperte Anđelko Milardović gegenüber der Zeitung Jutarnji list.

Die Erklärung: An der Küste ist es spürbar wärmer als im Herzen des Balkans. Allerdings wären ein paar Grenzen mehr zu überqueren, denn außer Griechenland, Albanien, Montenegro, Kroatien und Slowenien ist auch Bosnien ein Adria-Anrainerstaat.

Bisher aber hat sich kaum jemand für diesen Weg entschieden. Das bestätigte am Wochenende auch der Regierungschef Montenegros, Milo Đukanović, im DW-Interview. “Wir haben aber alle unsere Landesstrukturen darauf vorbereitet, sollte es zur Veränderung der Hauptroute kommen”, sagte er. Als verantwortlicher EU-Beitrittskandidat wolle man die in Brüssel vereinbarte Flüchtlingspolitik durchsetzen. Doch was für eine Politik? Das sagte Đukanović nicht.

Route über Kosovo?

Wenn die Flüchtlinge irgendwann wirklich an Mazedonien vorbei müssen, wäre auch der Weg über Albanien und Kosovo
weiter nach Serbien denkbar. Denn Serbien erkennt die vor acht Jahren erklärte Unabhängigkeit des Kosovo immer noch nicht an. Aus diesem Grund würde es der serbischen Polit-Elite schwer fallen, die Grenze zu der früheren Südprovinz sichtbar kontrollieren zu lassen. Das sei sowieso keine Grenze, sondern bloß die “administrative Linie”, pflegt man in Belgrad zu behaupten. Unter Experten gilt die Route aber als wenig wahrscheinlich.

Welche Fluchtroute in Zukunft bedeutend ist, lässt sich nicht vorhersagen. Einfluss darauf haben vorraussichtlich die Treffen der Visegrád-Gruppe und der anschließende EU-Gipfel. Hier bemühen sich die Regierungschefs erneut um eine gemeinsame Flüchtlingspolitik.