Abromavicius: Regierung braucht Neuanfang

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Ukraine

Abromavicius: Regierung braucht Neuanfang

Nach nur 14 Monaten ist der ukrainische Wirtschaftsminister Aivaras Abromavicius zurückgetreten. Angesichts der Vertrauenskrise legt er Ministerpräsident Arseni Jazenjuk im DW-Interview den Rücktritt nahe.

Deutsche Welle: Herr Abromavicius, was bewog Sie zum Rücktritt?

Aivaras Abromavicius: Es wurde auf verschiedenen Ebenen Druck bei der Postenverteilung in Staatsbetrieben und im Ministerium selbst ausgeübt. So wurde Ende vergangenen Jahres der größte ukrainische Erdöl- und Gaskonzern Naftogaz dem Wirtschaftsministerium unterstellt. Uns wurde die Vollmacht zur Ernennung der Chefs von 60 Top-Unternehmen des Landes übertragen. Damit wuchsen die Kompetenzen des Ministeriums. Also beschlossen einige “Genossen”, das Ministerium praktisch zu übernehmen, indem sie ihre Stellvertreter bei uns einsetzten. Das war der letzte Tropfen.

Einige Minister, die vor Ihnen den Rücktritt einreichten, ließen sich umstimmen. Warum Sie nicht?

Die Minister taten es in der Hoffnung, dass ihre Forderungen erfüllt werden. Ich habe die Liste dieser Forderungen nicht gesehen. Ich weiß nicht, welche Garantien sie bekommen haben. Dieser Tage haben einige stellvertretende Minister einen harschen offenen Brief geschrieben. Sie stellen unmissverständlich fest, dass die Reformen durch einen Klüngel um die Führung des Landes ausgebremst werden. Mal sehen, was davon sich im Bericht der Regierung vor dem Parlament am 16. Februar niederschlägt.

Abrechnung: Weil er die Klüngelwirtschaft nicht mehr ertragen konnte, trat Abromavicius zurück

Wie sehen Sie die Regierungsbilanz?

Entscheidend war die Reform der Energieversorgung. Wir haben uns von der Abhängigkeit vom russischen Gas befreit, die Tarife erhöht und ein transparentes System von Zuschüssen eingeführt. Als Zweites möchte ich die Reform des Bankenwesens nennen. Etwa ein Drittel aller Banken wurde abgeschafft, denn sie waren mit nur einem einzigen Ziel gegründet worden: Gelder der Einleger einzusammeln, um sie durch die Hintertür als Kredite ins Ausland zu schleusen. Dann die Reform der Verkehrspolizei. Außerdem wird bis August das ganze Land, werden die Gebietsverwaltungen, die Staatsbetriebe auf ein transparentes Computersystem umgestellt. Das ergibt ein gewaltiges Einsparungspotenzial.

Was ist misslungen?

Sehr viel. Wir konnten die Privatisierung nicht anstoßen, weil kleinere, jedoch wichtige Gesetzesänderungen fehlten. Wir konnten den Fiskus nicht reformieren. Fragt man die Unternehmer, was die größten Hemmnisse sind, bekommt man zur Antwort: Staatsanwaltschaft, Justiz, Zoll- und Steuerverwaltung. Beim Zoll und bei der Steuer hat die Regierung nicht für Ordnung gesorgt.

Am Ende konnte doch vieles erreicht werden. Trotzdem verlangen Sie den Rücktritt des Ministerpräsidenten Arseni Jazeniuk. Warum?

Wir stecken in einer Vertrauenskrise. Die Unternehmer und die Bevölkerung haben mehr erwartet. Es braucht radikale Schnitte, um das Vertrauen zurückzugewinnen. Das könnte durch einen Personalwechsel erreicht werden. Es ist auch eine Wertekrise. Es hat sich um die Führung ein Kreis von Personen mit negativem Image gebildet. Also brauchen wir jemanden mit lupenreiner Reputation an der Spitze der Regierung. Kein Land kann erfolgreiche Reformen durchführen, wenn der Regierungschef ein miserables Rating aufweist. Ja, es wurden unpopuläre Reformen durchgeführt, die an politischen Selbstmord grenzten. Nun müsste ein neuer Politiker die Stafette übernehmen, um die Reformen fortzusetzen.

Jazenjuk hat ein negatives Image, meint Abromavicius

Wie kann der Westen die Lage in der Ukraine beeinflussen?

In seiner Unterstützung der Ukraine sollte der Westen mehr fordern und auf Werten bestehen, zum Beispiel im Kampf gegen die Korruption. Die Strategie der Europäer “Ihr reformiert, wir unterstützen” wirkt. Was der Westen verlangt, verlangt auch die ukrainische Bevölkerung. Nur die Politiker, die spielen manchmal ihre eigenen Spielchen.

Wären Sie bereit, in einer neuen Regierung mit einem neuen Regierungschef zu arbeiten?

Ich habe meine Aufgabe gerne übernommen. Ich habe ein einzigartiges Team mit mehr als 100 jungen reformhungrigen Experten gebildet. Mehr als 700 alte Mitarbeiter wurden entlassen. Die gebliebenen Mitarbeiter bekommen doppelt so viel Gehalt. Vieles ist unerledigt geblieben – Staatseinkäufe, Deregulierung, Staatsbetriebe, neue Investitionen. Keine Frage, dass ich es zum Erfolg führen möchte. Unter neuen Bedingungen, in einem neuen Regierungsteam werde ich es mir neu überlegen. Meine Frau stammt aus der Ukraine, meine Kinder wurden in der Ukraine geboren. Mein Herz schlägt für die Ukraine, und ich glaube an die Zukunft des Landes.

Das Gespräch führte Roman Goncharenko

Aivaras Abromavicius war von Dezember 2014 an Wirtschaftsminister der Ukraine. Am 3. Februar 2016 trat der litauische Finanzexperte zurück. Als Gründe nannte der 40-Jährige Korruption und Einflussnahme auf die Arbeit der Regierung.